Feldpostbriefe: Letzter Brief eines deutschen Soldaten aus Russland, 4. Januar 1944 (Veröffentlicht am 07.08.2024)


Feldpostbriefe und ihre Bedeutung für die heutige Zeit

Bei den Recherchen nach Julius Erasmus kommt man zwangsläufig mit Feldpostbriefen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs in Berührung. Seien es Mitteilungen über den Tod eines Soldaten, geschrieben von dessen Vorgesetztem an seine Angehörigen, die später Herrn Erasmus als Anhaltspunkt für eine Grabsuche übermittelt wurden oder andere Schriftwechsel zwischen im Krieg befindlichen Soldaten und ihren Familien zu Hause. Ich befasse mich seither auch näher mit Feldpostbriefen aus der damaligen Zeit.

Feldpostbriefe sind wertvolle Zeitdokumente, die gerade in Zeiten wie den gegenwärtigen ihre zeitlose Botschaft entfalten und einen anschaulichen Eindruck darüber vermitteln, was Krieg für alle Beteiligten bedeutet. Sie sind ein wertvolles Werkzeug, um schon den Anfängen eines erneuten Strebens nach Krieg zu wehren und vielleicht dazu beizutragen, dass sich Geschichte nicht einmal mehr und mit abermals grausigen Folgen für die Menschheit wiederholt. Derzeit wird wieder einmal mit aller Macht für den Krieg, Waffen und das Töten von Menschen in großem Maßstab getrommelt, obschon man jahrzehntelang die vage Hoffnung haben konnte, dass die Menschheit aus den schmerzhaften Erfahrungen insbesondere zweier Weltkriege ihre Lektion endlich einigermaßen gelernt hat. Es scheint leider abermals nicht der Fall zu sein.

Vor diesem Hintergrund sollen hier in der Rubrik „Feldpostbriefe“ von Zeit zu Zeit entsprechende Briefe oder Briefauszüge aus unterschiedlichen Quellen veröffentlicht werden, um mit Nachdruck daran zu erinnern, was Krieg für die Menschen und die Menschheit bedeutet. Um einen Denkanstoß zu liefern und in der unerschütterlichen Hoffnung, dass dies einen Unterschied machen möge.

 

Letzter Feldpostbrief des Gefreiten Jakob Stöcker vom 4. Januar 1944 an seine Familie (Quelle: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Letzte Lebenszeichen – Briefe aus dem Krieg, S. 198 f.):

„Im Felde, den 4.1.1944

Meine Teuren in der Heimat!

Eine schwere, düstere Nacht hat sich wieder zu Ende geneigt und so möchte ich Euch wieder ein Lebenszeichen geben. Wir erwarteten diese Nacht einen großen Angriff, aber er hat sich nicht ereignet, aber er wird nicht ausbleiben und ich sehe für uns fast schwarz. Der Russe ist uns in 8- bis 10-facher Übermacht gegenüber, dazu haben sie alle schweren Waffen, was uns völlig fehlt. Dazu täglich die Flugzeugangriffe und wir können nicht einmal abwehren. Wenn der Russe auch so ein guter Soldat, das heißt so gut ausgebildet wäre wie der Deutsche, so wären wir schon längst verloren. Aber eines Tages wird er uns abschneiden und einkassieren, dann werden wir nach Sibirien wandern, wenn wir nicht bis dahin einen kalten Arsch haben. Es ist grauenhaft in dieser Lage und in die Zukunft zu blicken, denn diese Krim wird so nicht zu halten sein.

Ja, die 98. Division hat schon immer schwere Aufgaben zu erfüllen [gehabt], zuerst am Mittelabschnitt, dann am Kubanbrückenkopf, wo sie soweit noch gut herausgekommen ist, und jetzt am Brückenkopf bei Kertsch, aber ob wir diesmal noch herauskommen, ist fraglich. Kann Dir die traurige Mitteilung machen, dass der dritte Kamerad heute Nacht als vermisst gemeldet wurde. So sind noch ich und Ignatz von uns Alten hier. Er ging zum Essen holen und kam nicht mehr zurück. Vielleicht hat ihn eine Kugel getroffen und [er] musste ohne Hilfe liegenbleiben. Wie oft habe ich denselben Weg schon gemacht, ganze Nächte durch mit Bunkerholz und Munition schleppen oder Essen holen und es pfiffen die Kugeln gerade so an den Ohren vorbei, aber ich hatte immer das Glück. Aber der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht. Aber man wird dabei so gleichgültig, dass man sich sagt: Wenn es [einen] trifft, dann ist man von aller Qual erlöst.

Sonst bin ich noch gesund, was ich auch von Euch hoffe und ich würde mit Sehnsucht schon Post erwarten, aber ich werde mich noch eine Weile gedulden müssen. So hoffen und glauben wir auf ein Wunder, denn nur dieses könnte uns retten und bitten den Allmächtigen, er möge uns ein gesundes Wiedersehen schenken. Damit seid für heute gegrüßt und geküsst von Eurem lieben Vati. Gruß an alle.

‚Auf Wiedersehen!’“

 

 

Der Gefreite Jakob Stöcker, geb. am 21.10.1907, wurde am 19.01.1944 bei Jurakow-Kut, Krim, als vermisst gemeldet. Über seinen Verbleib ist bis heute nichts bekannt.

 

(Titelfoto: Soldatenfriedhof Kloster Helenenberg bei Welschbillig,
November 2023)

 

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