Feldpostbriefe: Die letzten Briefe des deutschen Soldaten Franz Friederichs an seine Familie, Dezember 1944/Januar 1945 (Veröffentlicht am 27.12.2024)

Die letzten Briefe des deutschen Soldaten Franz Friederichs an seine Ehefrau Lotte und seine Kinder Joachim und Irene (Quelle: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Letzte Lebenszeichen II – Briefe aus dem Krieg (2013), S. 39 ff.):

 

Brief an die Ehefrau nach Weihnachten

„28.12.1944

Liebe Lotte!

Wir sind gestern in der Frühe zurückgegangen aus der H.K.L. [Hauptkampflinie] in Ruhestellung. Es war Zeit, denn für das erste Mal hat es mir gelangt. Am 1. Feiertag abends wurde ich in die Stellung gebracht. In der Nacht ist der Amerikaner zurückgegangen und wir dann am 2. Feiertag alle Mann hinterher. Bei einem Waldstück Halt und unser Zug musste den Wald durchkämmen. Als wir zurückgingen, bekamen wir Ari-Beschuss [Artillerie-Beschuss]. Wir gingen dann wieder raus und als wir dann zu einem Stück auf dem freien Plan waren, schoss die Ari Trommelfeuer auf uns. Wir mussten zu Boden und dann, so wie wir waren, dort eingekrallt bis zum Abend bleiben und ich hatte meine Feuertaufe weg, und die war nicht von schlechten Eltern. Bewegen durfte sich keiner, dann hat’s gleich gekracht.

Zwischendurch vorsichtig in die Tasche gefasst, Zigaretten und Streichhölzer geangelt und geraucht, gebetet und gefroren. So wie wir uns hinwarfen, so mussten wir liegen und um uns hat es ununterbrochen gekracht. Abends ein Stück zurück und wieder Stellung bezogen, dort auf einem freien Plan in einer Rille von einer Panzerkette ohne Decken und Zeltplane gefroren und gebarmt, wann doch nur die Ablösung kommt. Der Boden gefroren, man konnte nicht tiefer und morgens kam dann endlich ein anderer Zug und hat uns abgelöst und zurück in Bunkerstellung. Stunden noch den MG- Kasten geschleppt und als ich dann angelangt war, war ich froh, so dass ich heute noch fertig bin. Aber es wird ja nicht immer so gehen. 8 Mann hatten Erfrierungen und ich bin wenigstens davon verschont geblieben. (…)

 

Letzter Brief an die Ehefrau Lotte zum Jahreswechsel

„Westen, den 31.12.1944

Liebe Lotte!

Vorgestern sind wir aus unserer Ruhestellung herausgezogen und von dort südlich an der Front entlang marschiert. Morgens waren wir in einem schönen Tannenwald und haben uns hier häuslich eingerichtet. Doch nimm das Wort häuslich nicht wörtlich. Habe mir mit einem Kumpel ein Schützenloch gehackt und geschaufelt, und hinter dem Kopfende haben wir eine Feuerstelle, die leider nur am Tage brennen darf, denn nachts würden uns die Ja.-Bo. [Jagdbomber] etwas auf den Kopf fallen lassen. Wir werden wahrscheinlich heute noch rücken und wenn Dich dieser Brief erreicht, wirst Du wohl schon Näheres aus dem Wehrmachtsbericht erfahren haben. Heute ist es leider etwas kälter und meine Füße, die dicht am Feuer liegen, wollen gar nicht warm werden. Wir haben uns gestern Abend schon um 6 Uhr in unser Loch verkrochen. Um 9 Uhr hat man uns geweckt, Schnaps, einen Trinkbecher voll, und die Mütze voll Gebäck.

1.1.1945 Wollte im Loch des Nachts weiter schreiben, doch es hat nicht geklappt. Es ist 10 Uhr morgens. Neujahr. Und vielleicht werde ich jetzt fertig bis zum Abmarsch. Um 1/2 2 wurden wir wieder geweckt und da hieß es Waffen scharfmachen, Karren fertigmachen. Wir können rechnen, dass es jeden Moment weitergeht und noch sind wir hier. Doch die erste Nacht ins Jahr 1945 hat nicht viele schlafen gesehen. Das Gebäck hab ich in der Nacht geknabbert, von dem Schnaps hab ich erst heute bei Tageslicht einen Schluck getrunken. Wie wir in Ruhestellung waren, haben wir auch Schnaps und jeder 1/2 Flasche Wein bekommen. Den Schnaps hab ich immer unterwegs und trink hin und wieder mal einen Schluck. Heute gab’s eine Rolle Drops, wieder für meine beiden Kleinen. Eine Walnuss, 6 Bonbons und eine Rolle Drops ist jetzt mein Vermögen und wenn ich Gelegenheit habe, dann haut das kleine Päckchen nach Berlin ab. Hoffentlich ist das erste schon dort. Es war ein Streifen Schokolade und zwei Rollen Drops. Es wird wohl jetzt die Zeit kommen, wo die auf der anderen Seite ein bisschen ins Rennen kommen. Hoffentlich klappt alles, und wir haben in diesem Jahr noch Schluss mit diesem schrecklichen Krieg.

Wie mag mein Eddi Silvester verlebt haben? Hoffentlich noch nicht an der Front. Vergiss mir nie, meinem Jungen Grüße zu bestellen, und wenn ich erst wieder weiß, wie seine Anschrift ist, melde ich mich von hier. Ich meine vom Westen, denn hier werden wir wahrscheinlich heute noch verschwinden. Hab eben mein Feuer wieder in Schwung gebracht, meine Pfoten sind immer noch nicht warm. Post kommt keine ran, wer weiß, wo die geblieben ist, vielleicht schon alles verbrannt. Keinen Weihnachtsbrief, nichts, und unsere Frage immer vergeblich. Was macht Ihr nur zu Hause? Geht’s denn immer noch? Lass man den Kopf nicht hängen, nächste Weihnachten sind unser Eddi und Franzi wieder da und der Spuk ist vorbei. Hat der Tommy wieder gehaust? Lass mal, Mutti, so wie es der Herrgott will, so müssen wir es eben nehmen, es wird schon richtig sein, wie es kommt. Bleibt mir nur alle schön gesund, alles andere kommt in zweiter Linie. Was macht denn Vater, Mutter und Schwiegermutter, sind sie alle drei noch auf dem Damm? Macht Euch nicht das Leben schwer. Wenn ich Vergleiche ziehe zwischen dem Westen und Berlin, dann geht es den Berlinern ja noch gut. Nach dem Krieg wird schon alles wieder ins richtige Geleise kommen. Und nun, was machen denn vor allem meine Kleinen, mein kleiner Achi und meine kleine Reni? Fragen sie noch nach ihrem Vati, oder vergessen sie vor lauter Spielen ihren Vati ganz und gar? Hoffentlich erleben beide mal eine bessere Zeit wie wir.

Liebe Mutti, jetzt kann ich nicht mehr, denn meine Hände und Füße sind wie Eis. Nach Möglichkeit werde ich oft schreiben, doch es kann sein, dass wir jetzt in diesen Wochen nicht oft zum Schreiben kommen. Drum mach Dir keine Gedanken, aber schreib Du oft, und wenn nur jeder 10. Brief ankommt, bin ich schon zufrieden, sonst hab ich nichts, was mir Freude macht. Nun, auf Wiedersehen. Grüße Euch allen und alles Gute für das Jahr 1945 und Küsschen an Dich, Achi und Reni

Euer Vati“

 

 

Franz Friederichs wurde am 26.03.1909 in Berlin geboren. Er war Kunst- und Bauschlosser und wegen einer „kriegswichtigen“ Anstellung als Arbeitsvorbereiter bis 1944 vom Wehrdienst befreit. Er wurde schließlich als Grenadier eingesetzt und fiel am 05.01.1945 bei Lemberg. Franz Friederichs ruht auf der Kriegsgräberstätte in Niederbronn-les-Bains in Frankreich.

 

(Titelfoto: Deutscher Soldatenfriedhof Sandweiler/Luxemburg,
September 2024)

 

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