Feldpostbriefe: Die letzten Briefe des deutschen Soldaten Theodor Goebel an seine Familie, Februar 1945 (Veröffentlicht am 10.01.2025)
(Quelle: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Letzte Lebenszeichen II – Briefe aus dem Krieg (2013), S. 70 ff.):
Letzter Brief an die Mutter
„Schlesien, 12.2.45
Meine liebe Mutter!
Ein kurzes Lebenszeichen. Von Euch habe ich seit einem Monat nicht gehört. Ich war bis jetzt in Breslau, wurde zurückgeholt, kam gerade noch heraus. Schlecht ist es mir nicht gegangen. Über die seelische Verfassung ein Wort zu verlieren erübrigt sich – sie ist bei uns allen die gleiche. Herzabschnürende Sorge, tägliche Pflichterfüllung und Hoffnung auf ein Wunder.
Ich fahre jetzt nach Süden, Richtung Mährisch Ostrau. Gearbeitet habe ich viel, hoffentlich lest Ihr wenigstens mal einen Artikel von mir. –
Unsere schlimmsten Befürchtungen sind eingetreten. Die Russenflut wird und wird nicht kleiner. Und unsere Soldaten vorne müssen Unmenschliches leisten. Täten sie das nicht, wäre der Feind schon am Rhein. Unsere Hoffnung bleibt irgendeine Einigung mit dem Westen, sei es auch unter schwersten Bedingungen.
Ihr könnt ja leider auch Kriegsgebiet werden. Ich rate Dir, Mutti, verkrieche Dich irgendwo, aber gehe nicht weg! Der Evakuiertenabend ist der schlimmste.
Man lebt weiter seinen Tag, der Mensch hält viel aus. Ein Kamerad hat vor kurzem hier geheiratet, hat sich seine Braut aus dem Kloster geholt. Es gibt sogar noch Romane.
Herzensgrüße
Dein Theo“
Letzter Brief an die Ehefrau
„Schlesien, 14.2.45 (bei Breslau)
Meine Hildefrau!
Ich schreibe diesen Brief im Quartier bei der Schwester meines Fahrers, in einer kleinen schlesischen Stadt. Zwei Tage Aufenthalt wegen Wagenreparatur. Dann geht es weiter südlich in den Raum der oberen Oder. Genau einen Monat bin ich nun unterwegs (von Krakau aus), das Sehen und Erleben dieser Zeit wiegt ein Jahr auf. Unser ganzes Weltbild hat sich verändert. Ich schrieb Dir vor einiger Zeit, dass wir in Litzmannstadt zwei Kinder mitgenommen hatten und in Breslau in den Zug gesetzt. Nun bekamen wir einen Brief von den Eltern, die Kinder sind noch vier Stunden vor ihnen bei den Großeltern in Thüringen angekommen. Etwas sehr Erfreuliches in diesem Wust von Elend und Sorge, dass eine gute Tat so gut zum Ende kam.
Artikel geschrieben habe ich fleißig, ich hoffe, dass Du einen zu Gesicht bekamst. Du wirst in diesen Wochen so viel quälende Sorge gehabt haben wie noch nie vorher – Kerlchen, ich bin tagelang wie betäubt durch das Leben gegangen und tue es eigentlich immer noch. Der Krieg selbst sieht dabei eigentlich nicht anders aus wie immer bei russischen Gewaltoffensiven, der wesentliche Unterschied ist nur, dass er uns jetzt an die Substanz geht. Vielleicht ist Dir nun klar, kleine Frau, warum ich so lange darauf drängte, zum Westen versetzt zu werden! Nun sind alle dahin zielenden Pläne natürlich begraben, ich wage gar nicht mehr, mich mit solchen Wünschen nach Berlin zu wenden. Und unsere schöne Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen, sie versank in wenigen Stunden einer Schlacht. Was kommen würde, war mir schon am Abend des 12. Januar ziemlich klar. Was weiter werden soll, ist mir allerdings gar nicht mehr klar. Dass wir weitermachen müssen, bedarf keiner Diskussion, die letzte Hoffnung schwindet erst mit dem letzten Schuss. Meine starke Hoffnung auf einen Ausgleich mit dem Westen, die einige Tage lang durch auffällige Zurückhaltung der anglo-amerikanischen Kriegführung genährt wurde, ist nach der Konferenz von Jalta zunächst begraben worden. Obwohl anzunehmen ist, dass hinter den Kulissen manches vor sich geht, was mit dem großen Geschrei in der Öffentlichkeit nicht viel zu tun hat. Eine große Schlacht im Osten, bei der wir größere Teile der Russen vernichten könnten und wenigstens Schlesien und Pommern wieder ganz befreiten, könnte weittragende Folgen haben. Dass eine solche Schlacht vorbereitet wird, ist sicher. Denn wir bremsen den russischen Ansturm immer noch im Wesentlichen mit den Kräften, die aus dem Zusammenbruch vom Januar übrig geblieben sind. Ans Hungern werden wir in diesem Jahr kommen, aber bis zum Verhungern ist noch ein weiter Weg. Auf jeden Fall wird der Krieg in diesem Jahr noch entschieden, so oder so. Und im schlimmsten Fall, kein Mensch kann mehr als einmal sterben.
Hildefrau, wie unter solchen Perspektiven die Erinnerung an ein großes Glück vieler Jahre fast körperliches Leben gewinnt, das brauche ich Dir nur anzudeuten, denn es wird Dir ganz genauso gehen. Wie ich Dich liebe, das weiß ich nun ganz und völlig erst, seit die Hoffnung auf ein Wiedersehen eben doch nur noch eine Hoffnung ist. Irgendetwas sehr Starkes in mir glaubt unverrückt an ein gutes, wenigstens erträgliches Ende. Aber man ist nicht immer stark. Und so will ich Dir für alle Fälle sagen, dass ich im Schlimmsten mit allen Mitteln versuchen würde, zu Euch zu kommen und ehe Euch ein Feind antastet, bringe ich Euch noch eher selbst um und mich dabei. Ein Leben für Leute meines Schlages und Berufes wäre nach einer Niederlage sowieso auf jeden Fall ausgeschlossen. Man unterzeichnet nicht jahrelang Kriegsberichte mit seinem Namen, um sich für den Fall einer Katastrophe noch irgendwelchen Hoffnungen für das kleine Ich hingeben zu können. Dafür ist dieses Jahrhundert zu konsequent.
Aber, Kerlchen, ich kann einfach nicht glauben, dass dieses Volk, das so stark und tapfer ist, das sich so wehrt, das im Grunde allen so überlegen ist, denn sie schaffen ja jeden Kilometer doch nur durch die Übermacht, dass ein solches Volk für den Untergang bestimmt ist. Bisher sind immer nur die Schwachen untergegangen und schwach sind wir weiß Gott nicht. Wo hat es je ein Heer gegeben, das nach solchen Niederlagen so ungebrochen ist! Wenn das deutsche Heer jemals zu kämpfen aufhören würde, dann nur, weil es einfach keine Waffen und Munition mehr bekäme.
Ich will von Euch träumen in jeder Stunde, die ich träumen kann. Meine Frau, meine Jungen, ich liebe Euch mehr, als tausend Worte je sagen könnten. Lass Dich streicheln, liebkosen, umarmen, geliebte Frau. Ich sehe Dich unter unserer Lampe sitzen, und wenn Du am Abend in Deinen Sorgen dasitzt, dann weißt Du, dass ich dort bei Dir bin mit allen heimlichen Geistern unendlicher Sehnsucht.
Dein Schatzmann“
Dr. Theodor Goebel wurde am 28.04.1915 geboren. Ehemals Schriftleiter der Nationalzeitung in Essen, berichtete er als Mitglied einer Propagandakompanie als Kriegsberichterstatter von der Ostfront. Nachdem ihm infolge einer Verwundung am 20.02.1945 ein Bein amputiert werden musste, verstarb er am 04.03.1945. Er ruht auf der Kriegsgräberstätte auf dem Städtischen Friedhof in Troppau.
(Titelfoto:
Deutscher Soldatenfriedhof Sandweiler/Luxemburg,
September 2024)
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