„Moderne Gedenkkultur“ im Kreis Düren: Die Entfernung der Informationstafel zu Julius Erasmus vom Soldatenfriedhof Vossenack im Jahr 2021 (Veröffentlicht am 03.10.2021, zuletzt aktualisiert am 21.06.2022)

Bis zuletzt befand sich direkt links des Eingangs zum Soldatenfriedhof in Vossenack eine Tafel, auf der über den Friedhof sowie – in Form der landläufig verbreiteten Legende – über die Person und Tätigkeit von Julius Erasmus informiert wurde. Der ehemalige Standort der Tafel ist z. B. einem Video des Youtube-Kanals „Outdoor Aixplorer“ vom 12.05.2019 ab Min. 5:50 gut zu sehen (abrufbar unter www.youtube.com/watch?v=dnciUWDhwhI). Im Juni 2021 war diese Tafel plötzlich verschwunden. Offenbar war dies vor Ort nicht aufgefallen, jedenfalls konnte keine der kontaktierten Personen hierzu Angaben machen. Da es im Kreis Düren inzwischen eine bemerkenswerte Tradition zu haben scheint, dass Mahnmale mit Bezug zum Zweiten Weltkrieg quasi über Nacht heimlich, still und leise einfach verschwinden, habe ich versucht, die Umstände der Entfernung der Erasmus-Informationstafel näher zu ergründen.

 

 

1. Anfrage an den Landesverband NRW des Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.

Ich kontaktierte hierzu Anfang Juli 2021 den Geschäftsführer des Landesverbandes NRW des Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. in Essen (nachfolgend „Volksbund NRW“), Stefan Schmidt, und fragte ihn, ob er weiß, was es mit der Entfernung der Tafel auf sich hat.

Herr Schmidt teilte auf meine Anfrage mit:

„Wie ein Beteiligter am ‚Moratorium Hürtgenwald‘ mir mitteilt, ist die Entfernung der alten Info-Tafel bereits vor längerer Zeit beschlossen worden – und zwar im Zusammenhang mit der Erarbeitung der neuen Informationstafeln, die inzwischen etwas weiter oben stehen. Mit der Erstellung dieser Tafel ist die Tafel am Eingang, als überflüssig erachtet worden.“

Die Nachfrage, wer dies wann beschlossen habe und wer die Tafel als „überflüssig“ erachte, wollte Herr Schmidt nicht mehr beantworten und verwies „an den Eigentümer der Kriegsgräberstätte Vossenack, den Kreis Düren“.

 

2. Anfrage an die Gemeinde Hürtgenwald

Die Gemeinde Hürtgenwald nahm auf meine Anfrage Anfang Juli 2021 einmal mehr ihre traditionelle Verweigerungshaltung ein. Eine formlose Anfrage an Bürgermeister Claßen nach dem Verbleib der Tafel wurde nicht beantwortet. Auf den der Gemeinde daraufhin übermittelten schriftlichen Antrag mit fünf Fragen zum Verbleib der Tafel – die auch dem Kreis Düren gestellt wurden (s. u. Ziffer 3.) – verwies man ohne inhaltliches Eingehen stumpf an den für den Soldatenfriedhof Vossenack zuständigen Kreis Düren.

Auch die folgende ausdrückliche Bitte um Erteilung eines förmlichen Bescheides, eigentlich eine Selbstverständlichkeit, wurde ignoriert. In dem dadurch notwendig gewordenen gerichtlichen Verfahren wurde der Bescheid dann im Dezember 2021 doch erlassen. Allerdings ist dessen Zugang bis heute nicht erfolgt, vermutlich infolge einer unvollständigen Adressierung. Die Gemeinde konnte auch keine Kopie des Originals übermitteln, sondern nur einen entsprechenden Auszug aus ihrem Verwaltungsvorgang.

Demzufolge teilte die Gemeinde Hürtgenwald in ihrem Bescheid mit, ihr lägen zu den besagten fünf Fragen keine Informationen vor und verwies an den Kreis Düren.

 

3. Anfrage an den Kreis Düren

Dem Landrat des Kreises Düren stellte ich Anfang Juli 2021 folgende Fragen zur Entfernung der Informationstafel über Julius Erasmus:

1. Wer hat die Entfernung der Informationstafel veranlasst?
2. Wann ist die Entfernung erfolgt?
3.  Was ist der Grund für die Entfernung?
4. Wer hat die Entfernung beschlossen, wann ist dies erfolgt und (ggf.) mit welchem Abstimmungsergebnis erging der Beschluss?
5. Wann wurde die Öffentlichkeit über die Entfernung informiert? Falls nicht: Warum nicht?

In seiner Antwort vom 16.07.2021 erklärte Landrat Spelthahn einleitend:

„Zunächst möchte ich klarstellend darauf hinweisen, dass es sich bei der von Ihnen angesprochenen Tafel nicht in erster Linie um eine ‚Erinnerungstafel‘ an Julius Erasmus handelt, sondern allgemein um eine Informationstafel über die Kriegsgräberstätte Vossenack. Sie war auch entsprechend mit der Überschrift ‚Hürtgenwald – Erinnerung und Begegnung: Ehrenfriedhof Vossenack‘ versehen. Der Eindruck, dass es sich dabei um eine Erinnerungstafel an Julius Erasmus gehandelt hätte, konnte vor allem deswegen entstehen, weil ein großformatiges Foto des ehemaligen Friedhofswärters darauf abgebildet war.

Der Text der Tafel stammte von 2005 und bildete für die folgenden 10 Jahre die einzige Informationsquelle zu der Kriegsgräberstätte vor Ort. Im Juni 2015 wurden dort sechs neue Informationstafeln aufgestellt, die auf die Arbeit eines Geschichtskurses des benachbarten Franziskus-Gymnasiums zurückzuführen sind. Bei der Aufstellung dieser Tafeln bestand seinerzeit bereits Einigkeit zwischen dem Kreis Düren und der Landesgeschäftsstelle NRW des Volksbundes, dass die zehn Jahre zuvor errichtete Tafel im Eingangsbereich entfernt werden sollte, weil die dort genannten Informationen zum großen Teil auch Eingang in die sechs neuen Tafeln gefunden hatten, die darüber hinaus die Kriegsgräberstätte mit ihren verschiedenen Elementen auch noch ausführlicher beschrieben. Der vorgesehene Abbau der Eingangstafel geriet leider in Vergessenheit, wurde vor einigen Wochen dann aber doch noch vorgenommen.“

Die dem Kreis Düren gestellten fünf Fragen wurden wie folgt beantwortet:

„Frage 1: Wer hat die Entfernung der Informationstafel veranlasst?
Die Entfernung wurde in Absprache mit der Landesgeschäftsstelle des Volksbundes NRW durch den Kreis Düren veranlasst.

Frage 2: Wann ist die Entfernung erfolgt?
Die Entfernung erfolgte vor ca. sechs Wochen.

Frage 3: Was ist der Grund für die Entfernung?
Die alte Informationstafel wurde durch sechs neue ersetzt.

Frage 4: Wer hat die Entfernung beschlossen, wann ist dies erfolgt und (ggf.) mit welchem Abstimmungsergebnis erging der Beschluss?
Der Entfernung lag kein förmlicher Beschluss zugrunde.

Frage 5: Wann wurde die Öffentlichkeit über die Entfernung informiert? Falls nicht: Warum nicht?
Eine Information über die Entfernung ist nicht erfolgt; hierzu bestand weder eine Verpflichtung noch eine Notwendigkeit.“

Auf Rückfrage nach dem genauen Datum der Entfernung der Tafel erklärte Landrat Spelthahn, dieses nicht (mehr) (!) zu kennen:

„das genaue Datum der Entfernung der Tafel ist nicht (mehr) bekannt. Dieses wurde weder vom Friedhofswärter noch seitens der Kreisverwaltung Düren festgehalten. Eine nähere Auskunft als „vor ca. 6 Wochen“ (gerechnet ab meinem Schreiben vom 16.07.21) ist daher leider nicht möglich.“

 

4. Bewertung

Gesichert scheint demnach aktuell nur, dass die Entfernung der Informationstafel offenbar Ende Mai/Anfang Juni 2021 durch den Kreis Düren vorgenommen wurde. Ob der Volksbund NRW die Ausführungen des Kreises Düren bestätigt, wird sich zeigen.

 

a) Kreis Düren und Volksbund NRW verweigern die Aufklärung

Den Umgang des Kreises Düren und des Volksbundes NRW mit der Thematik kann man nur als merkwürdig bezeichnen. Anstelle einer transparenten und offenen Aufklärung der Entfernung der Erasmus-Informationstafel scheint der Vorgang beiden Seiten unangenehm zu sein, so dass man sich offenbar lieber um Verschleierung bemüht.

Interessant sind zunächst die Unterschiede in den Aussagen des Geschäftsführers des Volksbundes NRW und denen des Kreises Düren zum Grund der Entfernung der Tafel. So verweist der Geschäftsführer auf (angebliche) Äußerungen eines Dritten über einen (angeblichen) „Beschluss“ und erweckt damit den Eindruck, die näheren Umstände der Entfernung selbst nicht zu kennen. Dem Kreis Düren zufolge wurde die Beseitigung der Tafel jedoch mit dem Volksbund NRW vereinbart. Wenn letzteres zutrifft, dürfte dies dem Geschäftsführer des Volksbundes NRW kaum unbekannt sein.

Umgekehrt können auch die Aussagen des Kreises Düren nur verwundern. Schon die wortreichen Erläuterungen, weshalb es sich nicht um eine „Erinnerungstafel an Julius Erasmus“ handle und weshalb aber dieser Eindruck entstehen könne, befremden. Warum dies als wichtig erachtet wird, obwohl der Begriff „Erinnerungstafel“ – jedenfalls von mir – nirgends verwendet wurde, erschließt sich nicht.

 

b) Erinnerung an 2005: Kreis Düren und Volksbund NRW errichten für Julius Erasmus eine „Legendentafel“

In diesem Zusammenhang ist es lohnend, den Blick zurück in das Jahr 2005 zu richten, in dem am 21.05.2005 im Rahmen einer öffentlichen Feierstunde der Gedenkstein für Julius Erasmus zusammen mit der nun entfernten Informationstafel eingeweiht wurde. Die Errichtung erfolgte damals auf Veranlassung des Kreises Düren und des Volksbundes NRW, Landrat Spelthahn hatte die „Schirmherrschaft“ für die Einweihungsfeier übernommen (vgl. den Bericht „Die Gefallenen ließen ihm keine Ruhe – Auf Ehrenfriedhof Gedenktafel für Julius Erasmus, den ‚Totengräber von Vossenack‘, enthüllt“ in der Dürener Lokalausgabe der Aachener Nachrichten vom 24.05.2005). Interessanterweise wurde die Informationstafel zu Julius Erasmus seinerzeit als „Legendentafel“ bezeichnet. Der gleiche Landrat, der Julius Erasmus also damals mit einer „Legendentafel“ würdigte, legt heute Wert auf die Feststellung, dass es sich nicht einmal um eine „Erinnerungstafel“ handle.

Bemerkenswert sind auch die von Landrat Spelthahn bei der Einweihung der Tafel am 21.05.2005 getroffenen Aussagen. Dem vorgenannten Zeitungsbericht zufolge äußerte er sich damals wie u. a. folgt (Hervorhebungen durch den Autor):

‚Wir danken heute Julius Erasmus für sein Lebenswerk ganz konkret‘, so Landrat Wolfgang Spelthahn bei der Enthüllung des Gedenksteins, ‚aber wir gedenken heute auch aller Opfer dieses grausamen Krieges.‘ Bei diesem Gedenken, so der Landrat weiter, ginge es nicht um Schuld. Es ginge viel mehr um Mahnen und Erinnern. ‚Es gibt heute eine sehr hohe Bereitschaft der Menschen, Konflikte mit Gewalt auszutragen.‘ Allein Im Hürtgenwald hätten während des Zweiten Weltkrieges 70 000 Soldaten den Tod gefunden. ‚Das waren allesamt Opfer, die in Pflichterfüllung in einen sinnlosen Tod geschickt wurden‘, so Spelthahn. Die Augenzeugen dieses schrecklichen Krieges würden immer weniger. Umso wichtiger würden in der heutigen Zeit Mahnmale. ‚Wir brauchen Gedenksteine wie diesen, damit die Erinnerung nicht stirbt, damit von diesem Boden nie wieder Krieg ausgeht.‘ Deswegen sei, so Spelthahn, der die Schirmherrschaft für die Gedenkveranstaltung am Samstag übernommen hatte, auch das Engagement von Julius Erasmus nicht hoch genug einzuschätzen. ‚Er hat die Toten geborgen, wenn möglich ihre Daten erfasst und ihnen somit ihre Würde zurückgegeben.‘

Auch zwischen diesen Aussagen des Landrats aus dem Jahr 2005 und denen in seinem Schreiben zur Entfernung der Informationstafel vom 16.07.2021 sind unschwer gewisse grundlegende Widersprüche auszumachen. Ist demnach eine Informationstafel wie die nun entfernte zu Julius Erasmus nicht mehr wichtig, um sicherzustellen, dass – mit den Worten von Landrat Spelthahn aus dem Jahr 2005 – „die Erinnerung nicht stirbt, damit von diesem Boden nie wieder Krieg ausgeht“? Offenbar nicht.

 

c) Ist die Erasmus-Informationstafel „überflüssig“ geworden?

Freilich versucht der Kreis Düren ebenso wie der Volksbund NRW, den Eindruck zu erwecken, dass die Informationstafel nicht mehr benötigt wird („überflüssig“), „weil die dort genannten Informationen zum großen Teil auch Eingang in die sechs neuen Tafeln gefunden hatten“. Welche Angaben zur Person von Julius Erasmus und seinem Tun wurden also von der Informationstafel in die den sechs neuen Tafeln übernommen? Wenig verwundert stellt man fest: So gut wie keine.

Auf der dritten Tafel mit dem Titel „Die Kriegsgräberstätte Vossenack“ wird Julius Erasmus wie folgt erwähnt:

„Besonders bekannt wurde Julius Erasmus (1895-1971), ein aus Aachen stammender ehemaliger Pionier-Hauptmann der Wehrmacht. Er und seine Helfer bargen seit Ende 1945 insgesamt 1.557 Tote.“

Dies sind die einzigen Angaben, die sich zur Person und Tätigkeit von Erasmus auf diesen sechs Tafeln finden; die Gründe der „besonderen Bekanntheit“ von Erasmus werden nicht erläutert. Der Ursprung der wenigen mitgeteilten Informationen ist unbekannt; selbst diese dürften nach derzeitigen hiesigen Erkenntnissen größtenteils falsch sein.

Auf der fünften Tafel (Titel: „Elemente der Kriegsgräberstätte“) werden knapp der Tod und der Gedenkstein zu Julius Erasmus erwähnt, dies wiederum in nichtssagender Weise:

„2005 wurde auf Initiative des Volksbundes ein Gedenkstein zur Erinnerung an den „Totengräber von Vossenack, Julius Erasmus, aufgestellt. (…) Julius Erasmus selbst ist nicht auf dieser Kriegsgräberstätte beigesetzt.“

 

 

d) Fazit

Es hat den Anschein, als wäre das Gedenken an den „Totengräber von Vossenack“ inzwischen sowohl dem Kreis Düren als auch dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge ein Dorn im Auge, so dass man die Erinnerung an Julius Erasmus und seine Tätigkeit möglichst beseitigen will. Dieses Ziel versucht man in einem ersten Schritt offenbar dadurch zu erreichen, dass man im Rahmen der öffentlichen Informationen auf dem Soldatenfriedhof in Vossenack die ursprüngliche, ausführliche (wenngleich vielfach unzutreffende) Informationstafel mit stark reduzierten, sehr vagen und nichtssagenden Angaben zu seiner Person und seinem Tun ersetzt, die der Leser der entsprechenden Tafeln im Regelfall überliest und die ihm keinen Impuls zum Nachdenken bzw. Nachfragen geben.

Es würde nicht erstaunen, wenn in einem zukünftigen weiteren Schritt, z. B. im Zuge einer „zeitgemäßen Überarbeitung“ der Tafeln, dann auch diese vagen Angaben als „überflüssig“ entfielen. Schließlich sind diese so abstrakt und inhaltsleer, dass der Leser mit ihnen ohnehin wenig anzufangen weiß und sie auch nicht vermisst. Als Teil dieser Entwicklung dürfte dann früher oder später auch eine Entfernung des Gedenksteins für Julius Erasmus propagiert werden – sofern dieser nicht gemäß jüngerer Praxis im Kreis Düren einfach über Nacht verschwindet.

Über neue Erkenntnisse zur Entfernung der Informationstafel wird an dieser Stelle berichtet werden.

 

Fortsetzung:

 

(Titelfoto: Grablicht in der Ruine eines Westwallbunkers am Ochsenkopf, Juni 2021)

 

Meine Arbeit zu Julius Erasmus können Sie hier unterstützen, vielen Dank!

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