Feldpostbriefe: Brief des deutschen Soldaten Hans-Joachim Breitenbach aus Russland, 3. Januar 1942 (Veröffentlicht am 06.06.2022)


Feldpostbriefe und ihre Bedeutung für die heutige Zeit

Bei den Recherchen nach Julius Erasmus kommt man zwangsläufig mit Feldpostbriefen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs in Berührung. Seien es Mitteilungen über den Tod eines Soldaten, geschrieben von dessen Vorgesetztem an seine Angehörigen, die später Herrn Erasmus als Anhaltspunkt für eine Grabsuche übermittelt wurden oder andere Schriftwechsel zwischen im Krieg befindlichen Soldaten und ihren Familien zu Hause. Ich befasse mich seither auch näher mit Feldpostbriefen aus der damaligen Zeit.

Feldpostbriefe sind wertvolle Zeitdokumente, die gerade in Zeiten wie den gegenwärtigen ihre zeitlose Botschaft entfalten und einen anschaulichen Eindruck darüber vermitteln, was Krieg für alle Beteiligten bedeutet. Sie sind ein wertvolles Werkzeug, um schon den Anfängen eines erneuten Strebens nach Krieg zu wehren und vielleicht dazu beizutragen, dass sich Geschichte nicht einmal mehr und mit abermals grausigen Folgen für die Menschheit wiederholt. Derzeit wird wieder einmal mit aller Macht für den Krieg, Waffen und das Töten von Menschen in großem Maßstab getrommelt, obschon man jahrzehntelang die vage Hoffnung haben konnte, dass die Menschheit aus den schmerzhaften Erfahrungen insbesondere zweier Weltkriege ihre Lektion endlich einigermaßen gelernt hat. Es scheint leider abermals nicht der Fall zu sein.

Vor diesem Hintergrund sollen hier in der Rubrik „Feldpostbriefe“ von Zeit zu Zeit entsprechende Briefe oder Briefauszüge aus unterschiedlichen Quellen veröffentlicht werden, um mit Nachdruck daran zu erinnern, was Krieg für die Menschen und die Menschheit bedeutet. Um einen Denkanstoß zu liefern und in der unerschütterlichen Hoffnung, dass dies einen Unterschied machen möge.

 

 

Feldpostbrief von Leutnant Hans-Joachim Breitenbach vom 3. Januar 1942, vermutlich an einen Schulfreund
(Quelle: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Letzte Lebenszeichen – Briefe aus dem Krieg, S. 39 f.):

„Wir haben Tage erlebt, die es bisher – auch im Weltkriege – nicht gegeben hatte. Im Wehrmachtbericht stand ja nur, dass Tichwin von uns wieder geräumt werden musste. Aber was dieser Rückzug für uns bedeutete, kann sich keiner vorstellen. Manche Inf.-Kp. [Infanteriekompanien] waren nur noch 7 Mann stark. Durch eine einzige Fliegerbombe hatte unsere Kompanie am 18.12. noch 11 Tote und 10 Verwundete.

(…)

Du wirst Dich bestimmt wundern, dass ich so einen langen Brief schreibe. Ich hätte ja so viel zu berichten, dass ich ganze Bücher damit schreiben könnte, aber alles Erlebte lässt sich ja gar nicht schreiben. […] Denn das hier in Russland ist ja kein Leben, das ist Kampf ums Leben. […] Überhaupt sind wir hier draußen ganz andere geworden; und viele werden uns nicht verstehen. Sie werden sich wundern, dass wir vom Kriege nicht erzählen werden, sondern nur harte, bittere Worte dafür finden; werden uns verübeln, dass wir in der Zeitung höchstens nur den Roman oder den Unterhaltungsteil lesen; werden uns scheel ansehen, wenn wir die Radionachrichten abstellen; werden schimpfen, dass wir von allem in Ruhe gelassen werden wollen und oft ganz grob werden können; werden es nicht verstehen, dass wir uns keine Wochenschau mehr ansehen können. Aber wir wissen warum!

Wenn im Liegnitzer Tageblatt steht, dass Tichwin weit hinter der deutschen Front läge, während wir die letzten Reste und Trümmer der Division dieses Tichwin bis zum letzten Mann verteidigen mussten, bis – ja, bis einfach keine Soldaten mehr da waren, dann wird vielleicht mancher ahnen, was in uns vorgegangen ist. Hier war kein PK-Berichter [Berichterstatter der Propaganda-Kompanie], und kein PK-Bericht erzählt von den letzten Männern in Tichwin. Der Schreiber dieses Artikels hätte nur einen einzigen Tag in Tichwin sein sollen; ich wäre sogar mit ihm in der Stadt spazieren gegangen; aber der hätte nie mehr irgendetwas über Krieg oder Soldatentum geschrieben. Der hat wahrscheinlich diese Soldaten noch nie gesehen, wie sie in kleinen Grüppchen, humpelnd, hinkend und frierend den Rückzug antraten, mit Säcken um die Füße gewickelt, auf Stöcke gestützt zurückgingen, alles unnötige Zeug zurückließen; vom Russen ungeschlagen, aber von der Kälte bezwungen. Das war Tichwin!

Und im Frühjahr werden wir wieder zum Angriff über den Wolchow antreten und dem Russen das Land, in dem so viele unserer Kameraden liegen und das so viel Blut, Tod und Grauen gesehen hat, wieder abnehmen. Ich hoffe, dass wir dann wieder dabei sind. Vorläufig jedoch wollen wir einmal ein wenig ausruhen, am liebsten wäre uns schon einmal Urlaub, aber es dürfen nur so wenig Leute fahren, dass ich z. B. vielleicht erst im Januar 1946 dran wäre. […] Wir waren bis 19. Dezember im Einsatz und merkten von Weihnachten überhaupt nichts, ja, wünschten uns sogar am Heiligabend auf dem Marsche zu sein, um ja nichts von Weihnachten zu merken. Aber als wir am 20. in Ruhe kamen und alle möglichen Weihnachtsvorbereitungen getroffen wurden, da kamen wir alle in die richtige Feststimmung und erlebten eins der schönsten und ergreifendsten Weihnachtsfeste überhaupt. Im nächsten Brief werde ich Dir darüber genauer berichten. […] und die brennenden Kerzen ließen uns Russland vergessen und weckten in uns die Erinnerung an unsere Kindheit und die Sehnsucht nach der Heimat; nach ein bisschen Liebe. […]

 

 

Hans-Joachim Breitenbach, geboren am 5. November 1919 in Berlin-Wilmersdorf, fiel als Leutnant in der Panzerjägerabteilung 18 am 13. Januar 1942 bei Staraja Russa/Russland.

 

(Titelfoto: Ehrenfriedhof Heidelberg, April 2022)

 

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