Episoden des Krieges: Die Bombardierung von Bitburg an Weihnachten 1944 (Veröffentlicht am 24.12.2024)
In einer Publikation des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge berichtet Franz Hauser über die Bombardierung von Bitburg am 24. und 25.12.1944, die er als Soldat vor Ort selbst miterlebt hat (Franz Hauser, „Stille Nacht im Bombenhagel“, aus: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., Unter den Sternen – Weihnachtsgeschichten aus schwerer Zeit (2006), S. 48 ff.):
„Heiligabend 1944 beginnt für uns junge Landser, Jahrgang 1927, schon am Abend des 23. Dezember. Ein Nachtmarsch wird kurzfristig angesetzt. Ziel: irgendein Eifeldorf. Als wir unsere zerbombte Kaserne vor Bitburg verlassen, stehen plötzlich sternenglitzernde Christbäume am nachtschwarzen Himmel. Für Uneingeweihte ein Schauspiel, wie für Kinder als Weihnachtsüberraschung anzuschauen. Wir wissen es besser: Zielaufnahmen feindlicher Aufklärer. Als Flakhelfer haben wir daheim solchen Lichtzauber schon erlebt. Darum wissen wir auch, was da der Stadt und ihren Bewohnern bevorsteht. Keiner spricht laut darüber. Auf einmal hat der Nachtmarsch auch eine gute Seite. Jeder Schritt bringt uns ein Stück weiter weg von dem zu erwartenden Luftangriff. Im Morgengrauen des 24. kehren wir wieder in unser Trümmerquartier zurück. Ausgefroren, hungrig, die Tornister vollgepackt mit Munition für unsere leichten Granatwerfer, zum Umkippen müde. Bitburg steht noch. Kinder träumen in ihren Betten bescheidene Weihnachtsträume. Tannen, Sterne, Heilige Nacht. Für uns ist jetzt Schlafen wichtiger.
Nachmittags erhält unser Zug Befehl, für die nächsten Tage die Bewachung eines kleinen Kriegsgefangenenlagers am Stadtrand zu übernehmen. Die hinter Stacheldraht sich duckenden Baracken sind auf den Dächern mit dem roten Kreuz gekennzeichnet, ebenso die Dächer des gegenüberliegenden Kriegslazaretts. Das international anerkannte Schutzzeichen suggeriert Sicherheit. Trotzdem wollen sich die Christbäume vom Vorabend nicht wegdenken lassen.
Um 16 Uhr übernehme ich mit einem Kameraden die erste Wache. Nach zwei Stunden sollen wir abgelöst werden. Eine Ewigkeit. Allein dreht jeder seine Runden am Stacheldraht entlang, allein mit sich und seinen Gedanken. Nur die Kälte hängt sich, Nähe suchend, bei uns ein. In der Stadt schauen jetzt wohl Kinder hinter abgedunkelten Fenstern selig in den Goldschimmer einer kleinen Kerze am Weihnachtsbaum. Weihnachtsbaum? Christbaum? Christbäume?!
Sirenen heulen – Bombermotoren lärmen unheilkündend – Flak bellt Wachhunden gleich – Bomben bersten, katapultieren Trümmer und Feuer in die Nacht. Menschen flüchten in Angst und Panik – schreien in Schmerzen oder auch in ohnmächtiger Wut – werden still – bleiben still – still für immer.
Die Bomber drehen ab. Befehlt ausgeführt! Heilige Nacht zerbombt! Über’m Kanal werden Generälen Orden über’s stolz pochende Herz geheftet.
Die Kameraden rennen mit dem Zugführer in die Stadt, um zu helfen, zu retten und zu bergen. Ich bleibe zurück. Allein. Die Kriegsgefangenen, in ihren Baracken eingeschlossen, haben während des Bombenangriffs die gleiche Angst ausgestanden wie alle anderen in Bitburg. Auch sie haben in Angst und Panik geschrien, getobt, weil die Ohnmacht gegenüber dem Grauen, das die dünnen Barackenwände beutelt, anderes nicht zulässt. Ich versuche, über den Stacheldraht hinüber zu beruhigen. Gleiche Not verbindet.
Kurz vor Mitternacht kehren die Kameraden vom Rettungseinsatz zurück. Müde, ausgelaugt, stumm. Zwei fehlen. Sie sind in den Trümmern geblieben. Nach zwei Stunden löst mich ein Kamerad ab. Er übernimmt freiwillig die Wache. Nach dem Erlebnis dieser unheiligen Nacht kann er keinen Schlaf finden. In der warmen Wachstube schaffe ich es noch, mich aus den knorrigen Stiefeln zu quälen, falle todmüde auf den Strohsack. Heiliger Abend – Bethlehem – Stall. War da nicht auch Stroh im Spiel? Danke, Herrgott, dass es Stroh gibt!
25. Dezember 1944. Um acht Uhr muss ich wieder auf Wache. Kalter Brandgeruch liegt über dem Gelände. Die Sonne, mit grauen Rauchschwaden ringend, leckt die Wunden, die Bomben der Stadt geschlagen haben, möchte die Kinder in ihre Arme nehmen, möchte sie streicheln und trösten.
Es ist kurz vor zehn. Ich zähle schon die Minuten bis zur Ablösung. Motoren brummen! Ich schaue nach oben, sehe über dem Lazarett die feindlichen Bomber auftauchen, Verderben transportierend. Wo bleiben die Sirenen? Ich schreie, warne laut, will denn niemand kapieren?! Da beginnt auch schon das Inferno.
Die Luft brüllt, jault, bebt unter der Last der herabstürzenden Bomben. Dann reißt die Erde auf, schreit auf wie ein Heer Gebärender in ihren Wehen, Tod und Chaos aus ihrem vergewaltigten Leib hinausstoßend. Vom Luftdruck berstender Bomben werde ich in den Stacheldraht geschleudert, spüre Schmerz, presse mich trotzdem Schutz suchend unter die spitzen Drahtstacheln. Detonationen reißen mich immer wieder hoch. Ich möchte mich in die Erde krallen. Warum ist sie gerade jetzt hartgefroren?! Ringsum fetzen Wohnhäuser auseinander, gehen in die Knie, als wollten sie ihre verrutschten Dachhauben dem Henker aufs Schafott legen. Mit dem Lazarettdach stürzt auch das Rote-Kreuz-Zeichen ein. In einem Fenster hängt ein verwundeter Soldat. Er braucht keine Hilfe mehr. Er ist erlöst.
Wie lange das Inferno dauerte? Ich weiß es heute nicht mehr. Ich weiß heute auch nicht mehr, wie lange der Bombermotor damals gebraucht hat, bis er, vom Himmel stürzend, neben mir sich in die Erde grub. Eines aber weiß ich heute noch und will es auch nie vergessen: An Weihnachten 1944 hielt mich Gott in seinen guten Händen!“
(Titelfoto: Beschädigter Grabstein von Helene Nosbüsch, 11 Jahre alt,
auf dem Soldatenfriedhof Bitburg-Kolmeshöhe im September 2022.
Nähere Angaben zu ihrem Geburts- und Todesdatum fehlen,
sie liegt jedoch zwischen Opfern der Angriffe vom 24. und 25.12.1944.)
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