Bunkerkämpfe: US-Angriff auf Bunker 227 auf dem Harresberg bei Lammersdorf im September 1944 (Veröffentlicht am 22.12.2022)
Die Kämpfe um einige der Westwallbunker im Bereich des Hürtgenwaldes sollen hier in einer Serie näher beschrieben werden, denn oftmals war es Julius Erasmus, der später die Opfer barg, identifizierte und bestattete. Zum besseren Verständnis sollte zunächst der Artikel „Der Kampf um die Bunker des Westwalls im Bereich Hürtgenwald“ gelesen werden, der die Ausgangssituation und einige Merkmale dieser Kämpfe näher beschreibt.
I. Lage und Bauart von Bunker 227
Hier sind bislang nur wenige Berichte bekannt, die Kämpfe um Westwallbunker im Bereich des Hürtgenwaldes, die sich zwischen September 1944 und Februar 1945 zahlreich ereignet haben, im Detail beschreiben. Einer davon stammt von der US-Armee und betrifft einen Angriff des 39. Regiments der 9. US-Infanteriedivision im September 1944 auf einen deutschen Gefechtsstand, der sich seinerzeit in einem Bunker auf einer Hügelkuppe, dem sog. Harresberg, oberhalb der heutigen Bundesstraße B 266 zwischen Lammersdorf und Rollesbroich befand. Der Angriff ist in einem Bericht mit dem Titel „Report on Breaching of the Siegfried Line“ der Engineer Section, XVIII Corps (Airborne), vom 28. Januar 1945 (nachfolgend „US-Report“ bzw. „Report“) näher beschrieben.
Bei dem betroffenen Bunker handelte sich um einen Bataillons- oder Regimentsgefechtsstand des Typs Regelbau 117b, in der damaligen Wehrmachtskarte ist er als Bunker 227 verzeichnet. Eine schematische Darstellung dieses Bunkers findet sich weiter unten in der Bildergalerie. Der dort abgebildete Regelbau 117a ist mit dem hier betroffenen Typ 117b identisch; letzterem fehlt jedoch die sog. Flankierungsanlage, die den Eingangsbereich schützte. Das Bauwerk wurde üblicherweise bodengleich in der Erde versenkt. Von der B266 aus ist der Standort des Bunkers – damals wie heute – nicht auszumachen, auch ist die Straße vom Standort des ehemaligen Bunkers aus nicht ohne weiteres einzusehen.
II. Der Angriff
Der Bericht zeigt zum einen die brachialen Methoden, mit denen die US-Armee gegen die Bunker des Westwalls vorgegangen ist, um diese unbedingt auszuschalten, zum anderen aber auch das Martyrium, das manche Bunkerbesatzung im Inneren auf sich nahm, um eine Aufgabe unbedingt zu vermeiden – womöglich aus den in Abschnitt V. des einleitenden Artikels näher beschriebenen Gründen. Einleitend werden die taktischen Erwägungen beschrieben, denen die US-Truppen bei Angriffen auf Bunker folgten (Report, S. 6, Übersetzung aus der englischen Sprache):
„TAKTIKEN FÜR DEN ANGRIFF AUF BUNKERANLAGEN.
Frontalangriffe auf Bunker werden vermieden, um dem konzentrierten Feuer aus den Schießscharten zu entgehen. Die Annäherungsmöglichkeiten an einen Bunker außerhalb von dessen Schussfeld können durch gründliche Aufklärung vor dem Angriff schnell ermittelt werden. In vielen Fällen hat sich die Besatzung eines Bunkers bereitwillig ergeben, als sie feststellte, dass sich unsere Truppen bis zur Rückseite des besetzten Bunkers vorgearbeitet hatten. Wenn hartnäckiger Widerstand geleistet wird, werden die verfügbaren Panzer, Panzerraupen, Panzerabwehrkanonen, Panzerfäuste und 155mm Kanonen auf Selbstfahrlafetten eingesetzt, um die Schießscharten zu beschießen. Das Feuer dieser Waffen bringt die Besatzung in der Regel dazu, sich zu ergeben. In einigen wenigen Fällen wurden die Türen der Bunker versiegelt und der Bunker mit Hilfe eines Panzerraupenfahrzeugs mit Erde bedeckt.“
Anschließend wird der Ablauf des Angriffs auf Bunker 227 näher beschrieben (Report, S. 6/7, Übersetzung aus der englischen Sprache):
„Kompanie ‚K‘ des 39. Infanterieregiments hat am 22. Dezember [Anmerkung: Korrekt dürfte September sein] [1944] einen Bunker an der Hauptstraße von Lammersdorf nach Rollesbroich eingenommen. Der Bunker befand sich größtenteils in einer Bodenmulde mit steilen Böschungen und war über eine Treppe zugänglich, die zum Eingang führte. Die Decke war ungefähr sechs Fuß dick und mit fünf Fuß Erde bedeckt. An der Vorderseite des Bunkers befanden sich zwei Türen mit Schießscharten, durch die mit Maschinengewehren gefeuert wurde.
Als die Kompanie am Bunker ankam, gelang es einigen Mitgliedern des Angriffsteams, auf das Dach und um die blinden Seiten des Bunkers zu gelangen; von diesen Positionen aus wurden Bazookas abgefeuert und Stangenladungen gegen die äußere Eingangstür angebracht. Mit diesen beiden Methoden gelang es nicht, die Insassen zum Herauskommen zu bewegen. Unter die Tür wurde Benzin gegossen und mit einer Thermitgranate angezündet; auch diese Methode blieb erfolglos. Am nächsten Morgen wurden weitere Versuche, die Kapitulation herbeizuführen, von den Insassen mit Maschinengewehrfeuer beantwortet. Eine Tellermine und eine Bienenkorbladung [Anmerkung: Eine besondere Sprengladung in der Form eines Bienenkorbes, die vor allem dazu diente, Löcher in Böden und Wände von Bauwerken zu sprengen] wurden auf dem Ventilator des Bunkers platziert, wodurch das Rohr abgesprengt wurde. Anschließend wurden zwölf Tellerminen in die Öffnung, in der sich der Ventilator befunden hatte, gesteckt, gefolgt von einer weiteren Ladung von 24 Tellerminen. Dies führte nicht zur Durchschlagung der Bunkerdecke. Anschließend wurde eine Sprengladung angebracht, um die Erde wegzusprengen und so an den Beton auf der Oberseite des Bunkers zu gelangen. Es wurden nacheinander sechs bis acht Bienenstockladungen verwendet, die jeweils so berechnet wurden, dass sie etwa 2 ½ Fuß Beton durchschlagen. Schließlich wurden drei Bienenstöcke in die von den vorherigen Bienenstöcken geschaffene Vertiefung eingesetzt. Die Gesamtdurchschlagskraft dieser Sprengladungen betrug 2 ½ Fuß. Zwischen diesen Versuchen wurden Panzerfäuste und Flammenwerfer erfolglos gegen die Öffnungen eingesetzt.
Schließlich wurde eine Sprengladung von etwa 300 Pfund TNT in das Loch auf der Bunkerdecke platziert, abgedeckt und zur Explosion gebracht. Nach der Explosion kamen die Insassen heraus und ergaben sich. Die Insassen berichteten, dass durch die Schießscharten etwas Rauch eindrang, jedoch nicht durch die Lüftungsöffnungen oder Türen. Die Flammenwerfer hatten keine Wirkung, und unter der Tür drang kein Gas ein, aber die Insassen nahmen den Geruch von brennendem Phosphor wahr. Das Kerzenlicht wurde schwächer und erlosch mehrmals. Die Insassen verließen den Bunker nicht, weil sie davon ausgingen, dass einer der Eingänge bereits blockiert war und der andere ausreichend blockiert war, um ihr Feuer unwirksam zu machen, und dass es möglich sein würde, eventuell Sprengladungen an der Tür anzubringen. In diesem Bunker befanden sich 30 Mann.“
Dieser Angriff wird offenbar auch in der Divisionschronik der 9. US-Infanteriedivision geschildert, wobei die Beschreibung nicht nur reißerischer ausfällt, sondern auch in Details von den vorgenannten Schilderungen abweicht. In der Chronik heißt es (vgl. Mittelman, Eight Stars to Victory – A History of the Veteran Ninth U. S. Infantry Division [1948], S. 252):
„Was mit einem Bunker geschah, auf den die Kompanie K des 39. Infanterieregiments traf, veranschaulicht sowohl die Art des Kampfes, den die Nazi-Soldaten führten, als auch die Koordinierung durch die 15th Engineers [15th Engineer Combat Battalion]. Es war am 23. September, als die Kompanie K im Sektor Lammersdorf auf eine besonders bösartige Gruppe von Deutschen traf, die einen Betonbau verteidigten. Dieser Bunker war so gut gebaut, dass es Artillerie, Panzerabwehrraketen, Rauch, 24 Pfund Dynamit, die Detonation von 18 Tellerminen und 400 Pfund TNT brauchte, um die 38 Insassen zur Kapitulation zu zwingen … und das erst nach 12 Stunden ununterbrochenen Beschusses! Als sich die Verteidiger der Stellung schließlich ergaben, hatten sie zerrissene Trommelfelle und litten unter einem schweren Schock.“
III. Zur Erläuterung
Es gibt eine deutsche Übersetzung des US-Reports (vgl. Bundesarchiv-Dokument RH 11/III/101; abgedruckt auch bei Groß, Westwallkämpfe [2015], S. 43), in der jedoch die Angaben zum Bunkerstandort fehlen, was aufgrund der Vielzahl der damals in diesem Bereich befindlichen Bunker mitunter zu Unklarheiten darüber geführt hat, wo sich der geschilderte Angriff zugetragen hat (z. B. schreibt Siebertz, Höhe 554 [2010], S. 98, ihn dem weiter westlich und auf der anderen Seite der B266 gelegenen Bunker 217 zu; seine Schilderung der Kämpfe um Bunker 227, die in Teilen von dem US-Report abweicht, findet sich auf S. 105). Die US-Angaben zu Standort und Bauart des betroffenen Bunkers mit zwei Zugängen und dessen Belegung mit mindestens 30 Personen sprechen jedoch für Bunker 227.
Die Zugänge nebst Türen befanden sich bei dem betroffenen Regelbau 117b – entgegen der Annahme in dem Report – nicht an der Vorder-, sondern an der dem Feind abgewandten Rückseite des Bunkers, im Fall von Bunker 227 vermutlich in der Böschung an dessen östlicher Seite. Dass die angreifenden US-Soldaten dem Report zufolge von den Eingängen aus beschossen wurden, spricht dafür, dass ihre Annäherung von der Bunkerrückseite her erfolgte, womöglich über einen damals von der Straße abzweigenden und östlich des Bunkers unweit an diesem vorbeiführenden Feldweg (vgl. hierzu den Ausschnitt aus dem Wehrmachtskarte in der Bildergalerie).
Heute gibt es diesen Feldweg nicht mehr, auch von Bunker 227 ist nicht mehr viel zu erkennen. Ob letzter gesprengt wurde, ist unklar. Zumindest wurde er verfüllt und übererdet, sein ehemaliger Standort hebt sich von dem umliegenden Weideland nur noch als flacher Hügel ab. Dieser ist allerdings durch die separate, annähernd quadratische Umzäunung am Ende eines Feldwegs und die farblich von der Umgebung abweichende Vegetation auf dieser Fläche unschwer auszumachen.
Wenngleich nach den derzeit verfügbaren Unterlagen bei keinem der aktuell auf dem Soldatenfriedhof in Vossenack bestatteten Soldaten ein Bezug zu Bunker 227 erkennbar ist, ist der Report gleichwohl ein eindrucksvolles Zeugnis über die Intensität der damaligen Kämpfe um die Westwallbunker im Bereich des Hürtgenwaldes und über die Umstände, unter denen Soldaten auf beiden Seiten dort ihr Leben ließen.
(Titelfoto: Standort von Bunker 227
auf dem Harresberg bei Lammersdorf, August 2022)
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