Feldpostbriefe: Ein Vater gedenkt seines im September 1944 gefallenen Sohnes (Veröffentlicht am 03.05.2023)


Feldpostbriefe und ihre Bedeutung für die heutige Zeit

Bei den Recherchen nach Julius Erasmus kommt man zwangsläufig mit Feldpostbriefen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs in Berührung. Seien es Mitteilungen über den Tod eines Soldaten, geschrieben von dessen Vorgesetztem an seine Angehörigen, die später Herrn Erasmus als Anhaltspunkt für eine Grabsuche übermittelt wurden oder andere Schriftwechsel zwischen im Krieg befindlichen Soldaten und ihren Familien zu Hause. Ich befasse mich seither auch näher mit Feldpostbriefen aus der damaligen Zeit.

Feldpostbriefe sind wertvolle Zeitdokumente, die gerade in Zeiten wie den gegenwärtigen ihre zeitlose Botschaft entfalten und einen anschaulichen Eindruck darüber vermitteln, was Krieg für alle Beteiligten bedeutet. Sie sind ein wertvolles Werkzeug, um schon den Anfängen eines erneuten Strebens nach Krieg zu wehren und vielleicht dazu beizutragen, dass sich Geschichte nicht einmal mehr und mit abermals grausigen Folgen für die Menschheit wiederholt. Derzeit wird wieder einmal mit aller Macht für den Krieg, Waffen und das Töten von Menschen in großem Maßstab getrommelt, obschon man jahrzehntelang die vage Hoffnung haben konnte, dass die Menschheit aus den schmerzhaften Erfahrungen insbesondere zweier Weltkriege ihre Lektion endlich einigermaßen gelernt hat. Es scheint leider abermals nicht der Fall zu sein.

Vor diesem Hintergrund sollen hier in der Rubrik „Feldpostbriefe“ von Zeit zu Zeit entsprechende Briefe oder Briefauszüge aus unterschiedlichen Quellen veröffentlicht werden, um mit Nachdruck daran zu erinnern, was Krieg für die Menschen und die Menschheit bedeutet. Um einen Denkanstoß zu liefern und in der unerschütterlichen Hoffnung, dass dies einen Unterschied machen möge.

 

 

Major a.D. Johannes van de Loo gedenkt seines im September 1944 gefallenen Sohnes, Hansjoachim van de Loo
(Quelle: v. Bebenburg, Ein Vermächtnis – Briefe und Gedichte gefallener Soldaten des 2. Weltkrieges [1955], S. 48 ff.):

 

„Unserem Sohn und Bruder

Schwer lastet Unheilszeit auf deutschem Volke.
Zäh naget Neidwurm an des Volkes Seele,
um tausendjähr’ges Unheil zu vollenden.
Dem Volk, das licht und hell in seiner Seele,
wird zu dem alten neuer Wahn gegeben.
Erkenntnis, die die Ahne, die die Mutter
dem leidgequälten deutschen Volke schenkte,
sie ward nur wenig Volksgeschwistern eigen.
Gar eifrig sucht man ihr den Weg zu sperren.
So bleibet sie den meisten vorenthalten,
obwohl Millionen Deutscher nach ihr ringen.
Das deutsche Volk und auch die andern Völker
vermöchten, wenn Erkenntnis ihnen wiese
den Grund für alles furchtbare Geschehen,
ihr Leben frei und glücklich zu gestalten
und eignes Gottlied ungetrübt zu singen.
Jedoch der art- und wesensfremde Glaube,
stets kettet er die Völker an den Irrtum:
ein Gott gestalte dies, ihr furchtbar Schicksal
und füge wechselnd Gutes oder Böses,
wie immer es für sie vorgesehen.
So wird ein starkes Volk wie das der Deutschen,
so werden auch die andern Völker alle
gelähmt in der Entfaltung ihrer Seele,
gefesselt in der Kraft des starken Willens.

 

In Demut beugen sie sich vor dem Gotte.
Statt stark am Schicksal selber zu gestalten,
sind nun die Völker Sklaven jener Mächte,
die diese Gottvorstellung ihnen brachten
und eifrig ihnen weiter suggerieren.
Aus freien Völkern wurden mählich Herden,
dem Willen jener abwehrlos ergeben
und nicht mehr fähig, Meintat [niederträchtiges Verbrechen],
zu verhindern, die ihre Schwächung und Versklavung zeitigt
und sie zur willenlosen Masse schafft.

 

So ward nun wieder grausam hartes Schicksal
in neuem Kampf dem deutschen Volk beschieden.
Der deutsche Mann und Jüngling müssen kämpfen
erneut um Sein und Nichtsein unseres Volkes.

 

In diesem heil’gen Kampf um unser Leben,
mein Sohn, erfasste der Begeistrung Lohe [hell flackernde Flamme]
auch deine Seele, und du schartest freudig
den Scharen dich der Jünglinge und Männer,
ein Kind fast noch mit deinen siebzehn Jahren.
Noch seh’n wir deine leuchtend blanken Augen,
aus denen tiefe Herzensfreude strahlte,
als uns der Abschiedsweg mit dir vereinte.
Still, wie du warst, vermochtest du mit Worten
nicht deiner Seele Inn’res preiszugeben.
Des Vaters und auch dessen Vaters Wesen,
im Sohn und Enkel zeigte es sich wieder.
Wir aber fühlten, was dich tief bewegte,
ging deines Herzens Wunsch doch in Erfüllung:
Du wurdest Flieger, wie du’s längst ersehntest.
Uns, deinen Eltern aber und Geschwistern
uns paarte mit der Freude sich die Sorge
um dich, mein Junge, um dein junges Leben,
wenn du begeistert in den Äther strebtest.

 

Denn hundertfach umgaben dich Gefahren.
In deinen Worten, deinen lieben Briefen,
die Merkmal stiller inn’rer Reife waren,
versuchtest du die Sorge uns zu bannen.
Du sahst nicht die Gefahr, die unsere Seele
erahnte, wen sie liebend dich umhegte.
In einem deiner letzten lieben Briefe,
die immer wieder uns von deiner Freude
und deinem Glücke neue Kunde brachten,
daß dir der Wunsch zu fliegen nun erfüllt sei,
enthüllte sich ein Stück aus deiner Seele.
Du schriebst, das Herrlichste sei dir das Fliegen,
und in des Adlers einsam weiten Höhen
zu streifen, mache dich unendlich glücklich.
Mein Sohn, wir hatten dich verstanden,
und innig teilten wir dein Gotterleben,
das sich in deinen Worten offenbarte.
Es zeugt von deutscher Art und deutschem Wesen.
Das wahrhaft Göttliche erlebt die Seele
und wagt’s mit Namen dennoch nicht zu nennen.

 

Dann kam der bittere Tag, an dem die Kunde
von deinem letzten Flug und jähen Sturze
aus Adlershöhe unsre Elternherzen
und die auch der Geschwister tief getroffen.
Dort, wo nach deinen eignen lieben Worten
du reinste Freude, höchstes Glück erlebtest,
dort oben in des deutschen Aars [Adlers] Gefilden,
dem Reich, das deiner Seele zweite Heimat wurde,
dort griff das Schicksal hart und unerbittlich
nach deinem jungen hoffnungsreichen Leben.
Mit neunzehn Jahren hast du’s nun vollendet.
Du starbst im Höhenflug den Tod der Flieger.
Im Fliegen, dem dein ganzes Herz gehörte,
nahmst Abschied du, mein Kind, von uns für immer.

 

Wie schmerzt die Wunde, die in unsere Seele
durch deinen allzu frühen Tod gerissen!
Ist’s Wirklichkeit, dass du nun nie mehr heimkehrst,
du, unser lieber, stiller Sohn und Bruder?
Ist’s Wahrheit denn, daß nie mehr deiner Stimme
so lieber trauter Klang an unser Ohr klingt
und wir nie mehr dein herzhaft Lachen hören?
Daß deiner Augen Glanz und stilles Leuchten
der Seele Innres nie mehr widerspiegelt?
Daß nie mehr drücket unsere Hand die deine
und nie mehr streichet deine blonden Haare?
Daß Elternliebe nie mehr dich umsorget,
und die Geschwister nie mehr mit dir scherzen?

 

Und doch! Wenn unsere Seele – gleichsam zeitlos –
in einsam stillen Stunden nach dir sucht,
läßt sie dein liebes Bild lebendig werden
und ist so nahe dir wie in den Zeiten,
da du noch lebtest und – nur ferne weiltest.
So ist es uns ein tröstlich liebes Wissen:
Entriß der Tod dich uns auch allzu frühe,
in unsrer Seele lebst du noch lebendig.
Und erst, wenn uns in unserm eignen Tode
für immer das Bewußtsein erst geschwunden,
erst dann bist wirklich du für uns gestorben,
du, unser lieber Sohn und guter Bruder.“

 

Hansjoachim van de Loo, geboren am 12. Dezember 1924, fiel bei einer Einsatzübung einer Jagdstaffel am 18. September 1944.

 

(Titelfoto: Ehrenfriedhof Daleiden, September 2022)

 

Meine Arbeit können Sie hier unterstützen, vielen Dank!

Archiv