Feldpostbriefe: Die Briefe des Adelbert Rühle, 1939 bis 1942 – Teil 1 von 4 (Veröffentlicht am 05.10.2023)


Feldpostbriefe und ihre Bedeutung für die heutige Zeit

Bei den Recherchen nach Julius Erasmus kommt man zwangsläufig mit Feldpostbriefen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs in Berührung. Seien es Mitteilungen über den Tod eines Soldaten, geschrieben von dessen Vorgesetztem an seine Angehörigen, die später Herrn Erasmus als Anhaltspunkt für eine Grabsuche übermittelt wurden oder andere Schriftwechsel zwischen im Krieg befindlichen Soldaten und ihren Familien zu Hause. Ich befasse mich seither auch näher mit Feldpostbriefen aus der damaligen Zeit.

Feldpostbriefe sind wertvolle Zeitdokumente, die gerade in Zeiten wie den gegenwärtigen ihre zeitlose Botschaft entfalten und einen anschaulichen Eindruck darüber vermitteln, was Krieg für alle Beteiligten bedeutet. Sie sind ein wertvolles Werkzeug, um schon den Anfängen eines erneuten Strebens nach Krieg zu wehren und vielleicht dazu beizutragen, dass sich Geschichte nicht einmal mehr und mit abermals grausigen Folgen für die Menschheit wiederholt. Derzeit wird wieder einmal mit aller Macht für den Krieg, Waffen und das Töten von Menschen in großem Maßstab getrommelt, obschon man jahrzehntelang die vage Hoffnung haben konnte, dass die Menschheit aus den schmerzhaften Erfahrungen insbesondere zweier Weltkriege ihre Lektion endlich einigermaßen gelernt hat. Es scheint leider abermals nicht der Fall zu sein.

Vor diesem Hintergrund sollen hier in der Rubrik „Feldpostbriefe“ von Zeit zu Zeit entsprechende Briefe oder Briefauszüge aus unterschiedlichen Quellen veröffentlicht werden, um mit Nachdruck daran zu erinnern, was Krieg für die Menschen und die Menschheit bedeutet. Um einen Denkanstoß zu liefern und in der unerschütterlichen Hoffnung, dass dies einen Unterschied machen möge.

 

Die Auswirkungen politischer Indoktrinierung auf Kinder und Jugendliche

Zu den erschütterndsten Belegen dessen, was politische Propaganda vermag, gehören Feldpostbriefe junger deutscher Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg, wie sie auf diesem Blog bereits veröffentlicht wurden (vgl. z. B. den Brief von Franz Krügner). Von Kindesbeinen an der „Erziehung“ im Sinne der herrschenden Ideologie ausgesetzt, hatten sie diese so tief verinnerlicht, dass sie es oft kaum abwarten konnten, Soldat werden und ihren Beitrag zur Umsetzung der ihnen als alternativlos vermittelten Ziele leisten zu dürfen.

 

Die Feldpostbriefe des Adelbert Rühle

Zu diesen Soldaten gehörte Adelbert Rühle, geboren am 23.09.1923 in Posen. Noch nicht einmal 16 Jahre alt, meldete er sich im Herbst 1939 freiwillig zum Dienst an der Waffe. Er fiel am 07.08.1942 als Leutnant der 6./InfRegt 120 (mot.) bei Kalatsch/Russland und wurde auf dem Soldatenfriedhof Krassnye Skodowad bei Kalatsch beerdigt. Beginnend als Rekrut während seiner Grundausbildung im Oktober 1939 bis zu seinem Tod an der Ostfront im August 1942 schrieb er zahlreiche Feldpostbriefe an seine Familie, in denen er sein Seelenleben und seine soldatische Motivation in aus heutiger Sicht mitunter nur schwer zu ertragender Offenheit beschrieb.

Seine Briefe wurden noch zu Kriegszeiten in dem Büchlein „Die Feldpostbriefe des Adelbert-Ottheinreich Rühle 1939 – 1942“ veröffentlicht, um gemäß der damaligen Propaganda „die seelische Entwicklung eines deutschen Jungen zum Soldaten, zum Offizier“ aufzuzeigen (so das Vorwort a.a.O., S. 5). Im Jahr 1979 erfolgte eine Neuveröffentlichung, nun verbunden mit der Mahnung zur Besinnung und zum Frieden (Vorwort a.a.O., S. 6).

Die Briefe von Adelbert Rühle sind eine zeitlose Warnung zur Wachsamkeit gegenüber totalitären politischen Systemen und ihren charakteristischen Mechanismen. Sie zeigen exemplarisch die Folgen eines Regimes, das sich bereits der Kinder und Jugendlichen bemächtigte und sie durch propagandistische Indoktrination zu willfährigen Instrumenten der herrschenden Ideologie erzog, die ebenso gutgläubig wie bedingungslos in Wort und Tat für die ihnen vermittelten Parolen eintraten. Die dramatischen Folgen sind bekannt.

Einige dieser Briefe sollen hier – über mehrere Teile – wiedergegeben werden. Zudem veröffentlicht wurden: Teil 2, Teil 3 und Teil 4.

 

Brief des gerade 16 Jahre alt gewordenen Adelbert Rühle vom 27.10.1939 aus der Grundausbildung an seine Mutter (Quelle: Brunhild Rühle, „Die Feldpostbriefe des Adelbert-Ottheinreich Rühle 1939 bis 1942“ (1979) [nachfolgend kurz „Feldpostbriefe Rühle“], S. 9 ff.):

„Meine liebe Mutter,

ich habe mich sehr über Deinen lieben Brief gefreut und danke Dir, dass ich Dir so viel Vertrauen schenken und alles schreiben kann und dass Du mich ganz verstehen wirst.

Die Rekrutenzeit ist bestimmt nicht leicht, und es tut mir weh zu merken, wie wenig ich noch Soldat bin. Ich bin sicher zu empfindlich, aber es kränkt mich immer wieder, so oft aufzuplatzen. Meine Kameraden kommen alle eben aus dem Arbeitsdienst und sind schön ganz im Drill, während ich der einzige bin, der eben von der Schule kommt. Mein Selbstbewusstsein ist wie ein rohes Ei, und ich müsste auch mal in dieser Beziehung abgehärtet werden.

Aber ich werde mir Mühe geben, ganz Soldat zu werden, immer stramm und froh jeden Dienst zu machen. In kurzer Zeit wird auch die Rekrutenzeit vorbei sein, und wenn ich erst ganz Soldat sein werde, wird alles anders. Ich war bisher viel zu weich viel zu sehr Einzelmensch, und vor allem lehne ich mich innerlich viel zu leicht gegen Vorgesetzte auf. Aber wenn ich mir selbst Mühe gebe, werde ich bald alles überwinden.

Wir haben auch ganz nett zu tun und machen bei dem schlechten Wetter täglich Exerzieren mit Hinlegen, Gleiten, Robben usw. Oft sind wir den ganzen Tag mit unserem Geschütz und Karabiner draußen, ziehen unser I. G. [Infanteriegeschütz] durchs Gelände. Das ist schwer, macht aber sehr viel Freude. Das Soldatenleben und die soldatische Haltung liegen mir bestimmt, und es ist mir ein schönes Gefühl, in das Leben und in den Kampf meines Volkes eingespannt zu sein, als Soldat alles zu hüten und fortzuführen, was uns heilig ist. Mit den Kameraden verstehe ich mich prima, und jeder Tag bringt neue Freuden.

Eben erhalte ich dreimal Post zusammen von Dir. Ich habe mich wirklich sehr gefreut. Vor allen Dingen danke ich den Kleinen für ihre Grüße. Voller Freude erfahre ich, dass Brüderchen gut gedeiht. Grüß ihn mir, meinen kleinen Freund und Bruder, mit einem besonders herzlichen Lachen.

Was ich anfangs schrieb, sieht sich nun gar nicht so schlimm an. Du darfst es nicht falsch auffassen. Mein schönster Wunsch hat sich erfüllt: ich bin Soldat, und ich trete meinen Beruf an, den ich mir gewählt habe, alle Hoffnungen und Ideale erfüllen sich, und ich freue mich auf meine glückliche Arbeit, die ich in der Zukunft leisten will.

Grüß mir bitte nochmals alle Geschwister. Ich bin Dir ja so dankbar, dass ich sie habe.

Viele liebe und frohe Grüße – Dein Addi.“

 

Brief von Adelbert Rühle vom 12.11.1939 an seine Mutter (Quelle: „Feldpostbriefe Rühle“, S. 11 ff.):

„Liebe Mutter,

heute war bei uns Vereidigung. Ich war nur als »Zuschauer« dabei mitangetreten, weil ich schon vereidigt bin. Aber diese Vereidigung war noch viel schöner als die, die ich erlebte.

Das ganze Regiment war in Stahlhelm und Mantel um die Fahne herum angetreten; die Stahlhelme blitzten in der Sonne, die Regimentsmusik spielte. Es war richtig festlich! Man fühlt so die Kraft unserer Truppe, wenn man das ganze Regiment zusammen angetreten sieht und ist stolz, mit dazu zu gehören und Soldat des deutschen Volkes zu sein. So lange es junge, gesunde und stramme deutsche Soldaten gibt, durchdrungen vom Bewusstsein der eigenen Kraft, und der heiligen Verantwortung, die uns obliegt, wird Deutschland leben.

Diese Haltung muss jeden deutschen Mann beseelen und in sein ganzes Leben eingreifen. Das ist gewiss noch nicht immer und überall so. Aber desto mehr will ich es mir zur Aufgabe machen und desto eifriger und freudiger jeden Dienst tun, der dazu nötig ist, um selber immer mehr Soldat zu werden, immer mehr zu lernen, sich immer mehr zusammenzureißen und schließlich dann selber erziehen zu können.

Dazu muss ich noch ein ganz anderer Kerl werden, liebe Mutter; aber ich will es ja selber, und deshalb werde ich alle Schwierigkeiten freudig überwinden. Einen Zwang gibt es für mich nicht, weil ich »liebe, was ich muss«.

In unserer Kompanie gibt es immer mehr Urlaub, manche fahren schon zum zweiten Mal. Vielleicht kann ich beim nächsten Schub mit dabei sein. Aber wenn nicht, dann kann mich das auch nicht erschüttern. »Weihnachten« bleibt die alte Parole. Wenn die vielen Kerzen brennen und die Kleinen jauchzen vor Glück, dass endlich dieses Fest gekommen ist, dann ist es, als ob sie selber solche kleinen Christkindchen wären, die auf die Welt gekommen sind, um alles schöner, reiner und besser zu machen! Ja, wenn wir die Kleinen nicht mehr hätten, wäre Weihnachten ja nur ein Beisammensein mit gegenseitigem Geschenkemachen!

Und so stehen wir uns doch auch so viel näher, weil Ihr wie wir mit vielem immer wieder neu anfangen müsst und nicht wie viele andere Eltern am Ende Eurer Lebensarbeit steht. So seid Ihr uns außer Vater und Mutter auch immer die besten Freunde, denn wir verstehen uns ja so.

Dein Addi“

 

Brief von Adelbert Rühle vom 24.11.1939 an seine Mutter (Quelle: „Feldpostbriefe Rühle“, S. 11 ff.):

„Liebe Mutter,

gestern sind wir nun nach Lager Linde umgezogen. Als wir loszogen, lag frischer Schnee zum ersten Male über dem Lager und dem Wald. Es war eine richtig weihnachtliche Stimmung. Ich aß selbstverständlich einen Bratapfel und dachte an Euch und dass Ihr nun bald wahrscheinlich den ersten Advent feiert, an Eure Weihnachtslieder und Weihnachtskerzen und vor allen Dingen an die Kleinen und ihre Vorfreude. Weihnachten ist doch das schönste Fest des Jahres und so deutsch in seiner Art. Wir feiern die Erlösung aus allem Dunkeln zu allem, was uns deutschen Menschen immer das Höchste und Schönste war und ist: zum Licht, zum Reinen, Neuen und Erlösenden. Das fühlen wir alle irgendwie in diesem Fest: und dazu packt uns das ernste und heilige Gefühl, dass dieses Reine und Lichte kommen muss, dass es von einem allmächtigen Gott zum Erlösen bestimmt ist. Dieses alles ist so deutsch, und es gibt keinen Deutschen, den es nicht ergreift, wenn er einen Lichterbaum sieht oder ein Weihnachtslied hört. Wir denken dann immer so an zu Haus, an Mutter und Kinder, die so eng mit diesem Fest verbunden sind.

Morgen ist Regimentsübung. Darauf freu ich mich schon sehr. Am meisten werde ich mich aber freuen, wenn wir an die Front kommen. Da kann ich dann einmal beweisen, was an mir dran ist und muss etwas leisten. Dann habe ich die höchste Aufgabe meines Lebens zu erfüllen: mein Vaterland zu verteidigen, das, wofür alle unsere Vorfahren immer gelebt und gekämpft haben und das nun als heilige Verpflichtung in mir liegt, in eine neue Zukunft zu führen und zu erhalten: das deutsche Wesen, unser Volk, unser Vaterland. Soldat und Mutter erfüllen diese höchste Lebensaufgabe, und Soldat und Mutter müssen auch das Ziel jedes deutschen Mannes und jeder deutschen Frau sein. Du, liebe Mutter, die Du für Deutschlands Zukunft so viel geopfert hast und Dich Dein ganzes Leben hindurch so gerne, mit so viel Liebe dafür abrackerst, wirst auch verstehen, dass auch ich dafür leben und im Felde kämpfen und opfern will, opfern muss, denn »Deutschland muss leben und wenn wir sterben müssen«.

Mit vielen Grüßen an unsere »Kleinen«, die die wichtigsten Bürgen dafür sind.

Dein Addi.“

 

Fortsetzung folgt. Weitere veröffentlichte Teile der Serie:  Teil 2, Teil 3 und Teil 4.

 

(Titelfoto: Adelbert Rühle und sein Grab,
aus: „Die Feldpostbriefe des Adelbert-Ottheinreich Rühle 1939 – 1942”, S. 60, 90)

 

Meine Arbeit können Sie hier unterstützen, vielen Dank!

Archiv