Julius Erasmus: Interview aus dem Jahr 1959 (Veröffentlicht am 24.06.2022)
Eine interessante Original-Quelle zu Julius Erasmus findet sich in einem Youtube-Video zum sog. „Historisch-literarischen Wanderweg Hürtgenwald 1938 – 1947“, das Teil des Projekts Multimedia-Historyguide der Konejung Stiftung: Kultur ist. In dem Video „F7“ zum sog. „Boesch-Weg“, benannt nach dem US-Soldaten Paul Boesch, der mit der 4. US-Infanterie-Division im Hürtgenwald gekämpft hat, wird ab Min 00:38 auch die Arbeit von Julius Erasmus thematisiert – dies in Form der herkömmlichen „Legende“. Ab Min 01:25 wird ein Interviewausschnitt unbekannten Ursprungs, vermutlich mit einem Radiosender, aus dem Jahr 1959 eingeblendet, in dem Julius Erasmus zu seiner Arbeit befragt wird.
Das Video ist sehens- und hörenswert, insbesondere im Hinblick auf die langjährige Darstellung von Julius Erasmus und seiner Tätigkeit.
Der auf Julius Erasmus bezogene Teil des Videos wird zur Vereinfachung nachfolgend in transkribierter Form wiedergegeben:
„Für viele der Kriegstoten gab es auf Jahre hinaus nicht einmal eine Bestattung. Erst der Initiative des ehemaligen Pionier-Hauptmanns Julius Erasmus, der schon vor dem Krieg in Vossenack lebte und beim Festungspionierstab auf Schloss Burgau tätig war, ist es zu verdanken, dass allein durch seine Arbeit über 1.500 deutsche Landser geborgen werden konnten. Erasmus hat immer wieder bei den Behörden angeeckt, und sein Verschwinden aus der Region ist nie ganz aufgeklärt worden. Tatsache ist, dass er jahrelang nur wenige Kilometer weiter in Nideggen-Abenden gelebt hat und 1971 im Krankenhaus Lendersdorf verstarb. Hören Sie nun ein Interview mit Julius Erasmus aus dem Jahre 1959.
Julius Erasmus (JE): ‚Die toten Kameraden lagen hier verstreut in der ganzen Gegend herum, vor allen Dingen auch in Chausseegräben. Da begann ich sofort mit meinem Werk, diese Kameraden zu bergen. Da ich keinen Platz hatte, um meine Kameraden unterzubringen, begrub ich sie erst an Waldrändern, um die Erkennungsmarken zu sichern, um später die Identifizierung durchführen zu können. Unter Mithilfe des damaligen Pfarrers von Vossenack, Herrn Dr. Eschweiler, haben wir die Sache gemeinsam geschafft. Ich bin allerdings, nachdem er selbst, ich glaube circa fünf bis zehn Tote mitgeborgen hat, allein weitergezogen. Mir wurde erst im Jahre 1946 von der Gemeinde Vossenack ein Platz anschließend an den Gemeindefriedhof in Vossenack zur Verfügung gestellt, um meine Toten zu bergen. Man stellte mir seinerzeit vier Invaliden zur Verfügung, um mir die Arbeit zu erleichtern, vor allen Dingen Gräber auszuwerfen auf dem Friedhof. Im Sommer zog ich meistens um drei, halb vier Uhr los, da ich ja tagsüber arbeiten musste, um mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Die Gegend war hier restlos vermint. Bis heute sind circa 80.000 Minen hier im Bezirk Vossenack ausgehoben worden.‘
Frage: ‚Das war doch die große Gefahr. Das waren die gefährlichen Umstände, Herr Erasmus, unter denen Sie hier arbeiten mussten; unter denen Sie hier die Toten bargen.‘
JE: ‚Ich muss dabei sagen, dass ich niemals den Gedanken hatte, dass mir etwas hätte passieren können. Ich bin immer ohne jedes Gerät losgezogen, bis es mir beim 523. verboten wurde, in die Minenfelder zu gehen und dort Kameraden zu bergen. Ich habe dann während meiner Arbeit weitergemacht. Die Minensucher haben mich damals sehr unterstützt. Sie haben mir viele Tote gemeldet und auch manchmal geholfen, die Erkennungsmarken mit den Minensuchgeräten zu suchen. Die wurden dann im Fachhaus, weil ich selbst ja auch nur zwischen Trümmern hauste, gereinigt und wurden über das Rote Kreuz zur Identifizierung an die Deutsche Dienststelle nach Berlin geschickt.‘
Frage: ‚Wie viele tote Soldaten, Herr Erasmus, haben Sie allein bergen können?‘
JE: ‚Ich habe bis heute, in diesem Jahr, am 10. Juni, meinen 1.592. Kameraden hier herein geholt.‘
Frage: ‚In diesem Jahr haben Sie hier noch Tote gefunden?‘
JE: ‚Vier haben wir in diesem Jahr schon wieder gefunden. Im letzten Jahr waren es acht Deutsche und ein Amerikaner.‘“
Das Interview dürfte von längerer Dauer gewesen sein, mangels Quellenangabe lässt sich dies allerdings nicht genauer feststellen. Die Aussagen sind gleichwohl eine wertvolle historische Quelle für das Verständnis der damaligen Geschehnisse.
(Titelfoto: Gruppenaufnahme während der Errichtung
des Soldatenfriedhofs Vossenack im November 1949;
erster von rechts: Julius Erasmus;
Quelle: Archiv Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge)
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