Episoden des Krieges: Die Kämpfe im und um den Hürtgenwald im Herbst und Winter 1944/45 (Veröffentlicht am 18.03.2022, aktualisiert am 08.06.2022)
Untrennbar mit der Tätigkeit von Julius Erasmus verbunden sind die Kämpfe im und um den Hürtgenwald im Zweiten Weltkrieg, die – mit Unterbrechungen – von September 1944 bis Februar 1945 andauerten. Zahlreiche der von Julius Erasmus und seinen Helfern geborgenen und auf dem Soldatenfriedhof in Vossenack beigesetzten Gefallenen sind in diesen Kämpfen zu Tode gekommen.
Für den mit diesen Kämpfen und ihrer besonderen Natur nicht näher vertrauten Leser soll deren Inhalt nachfolgend näher beschrieben werden, wobei nicht mehr geleistet werden soll als ein allgemeiner Überblick.
I. Die Region des „Hürtgenwaldes“ und ihre Gegebenheiten im Zweiten Weltkrieg
Die heutige Bezeichnung Hürtgenwald ist überhaupt erst infolge der Kämpfe im Zweiten Weltkrieg entstanden, als die Amerikaner die ausgedehnten Waldgebiete der Forste Hürtgen, Merode, Roetgen und Wenau in Anlehnung an den Ort Hürtgen – und den englischen Begriff „to hurt“ für „verletzen“ – in ihrer Gesamtheit als „Hurtgen Forest“ bezeichneten. Es handelt sich um ein ca. 140 km2 großes Gebiet, das sich grob gesehen zwischen der belgischen Grenzen, Eschweiler im Norden und Monschau im Süden erstreckt und im Osten durch die Rur begrenzt wird. Dort fanden im Herbst und Winter 1944/45 schwerste Kämpfe statt, die sich nicht zuletzt aufgrund der äußeren Umstände nachhaltig in die Erinnerung aller Betroffenen, beteiligter Soldaten wie der Zivilbevölkerung, gleichermaßen nachhaltig eingebrannt hat.
Ein Großteil des Kampfgebiets bestand damals aus sehr dichten und damit schwer zu durchdringenden Wäldern, deren Charakter mit den heutigen nicht mehr vergleichbar ist. Der dichte Wald stand damals verbreitet bis unmittelbar an den Rand der heutigen Bundesstraße 399, die schon damals existierte; viele der heute an sie angrenzenden Wiesen- und Weideflächen entstanden erst infolge der Zerstörungen durch die Kämpfe. Die damals dichten Waldflächen und die ohnehin stark zergliederte Landschaft gingen mit einem eingeschränkten Straßen- und Wegenetz einher, was militärische Bewegungen zusätzlich erschwerte. Durch das Gebiet verlief zudem der Westwall mit zahlreichen Bunkern. Hinzu kam im Herbst 1944 ein selbst für die Verhältnisse der Nordeifel ungewöhnlich schlechtes, nasskaltes Wetter mit einem frühen Wintereinbruch.
II. Ziele und Verlauf der Kämpfe
Während sich die im wesentlichen aus westlicher bzw. südwestlicher Richtung vorrückenden US-Truppen in den Besitz der Hochfläche um die Ortschaft Schmidt jenseits des Kalltals bringen wollten, um insbesondere das weitere Vordringen in Richtung Rhein zu schützen, versuchte die Wehrmacht nicht zuletzt im Hinblick auf die für sie strategische Bedeutung der nahen Rur-Stauseen und die Vorbereitung der späteren Ardennen-Offensive verbissen, ihre Verteidigungslinien zu halten (vgl. hierzu und zum Verlauf der Kämpfe im Einzelnen z. B. Hammel, Vor 40 Jahren: Die Schlacht im Hürtgenwald, in: Truppenpraxis 1984, S. 745 ff., S. 823 ff. und 1985, S. 85 ff.).
Da die örtlichen Gegebenheiten und das andauernd schlechte Wetter sowohl den Einsatz größerer Panzerverbände als auch der Luftwaffe stark einschränkten, wurden die Kampfhandlungen bestimmt durch Infanterie, Pioniere und Artillerie, die über rund fünf Monate um Wälder bzw. Waldstücke, um Schneisen, Wege und Ortschaften rangen. Die Kämpfe begannen am 14.09.1944 mit ersten US-Angriffen im Bereich Roetgen/Lammersdorf und endeten am 07.02.1945 mit der Einnahme von Schmidt, nachdem die deutschen Verteidiger kurz zuvor die letzten von ihnen noch gehaltenen Westwall-Bunker im Bereich Ochsenkopf/Kallbrück aufgegeben hatten. Dazwischen liegen erbitterte, opferreiche Kämpfe zwischen den vordringenden US-Truppen und den verteidigenden Einheiten der Wehrmacht, wobei letztere im fünften Kriegsjahr vielfach nur noch unzureichend ausgebildete, schlecht ausgerüstete Soldaten fortgeschrittenen oder aber sehr jungen Alters sprichwörtlich in den Kampf warf, wo sie nicht selten rasch den Tod fanden. Der Kampfteilnehmer Baptist Palm, später Bürgermeister von Vossenack, führt hierzu in seinem Buch „Hürtgenwald – Das Verdun des Zweiten Weltkriegs“ von 1953 aus (a.a.O., S. 20 f.):
„Deutsche Soldaten kamen und brachten Munition nach vorne. Abgekämpfte und müde Gestalten waren es, die da nach vorne gingen. Fünf Kilometer waren es noch bis zur Front. Männer von vierzig bis fünfundvierzig Jahren, Familienväter und junge Burschen von knapp siebzehn Jahren, jeder schwer bepackt mit Munition zogen sie nach vorne. In ihren Gesichtern sah man keinen Mut, keinen Kampfgeist, schweigend schlichen sie an den Waldrändern entlang zur Front.“
III. Erinnerungen beteiligter Soldaten
Die Kämpfe im und um den Hürtgenwald sind Gegenstand zahlreicher Publikationen unterschiedlicher Qualität vor allem in den USA (z. B. die Werke von MacDonald, „The Siegfried Line Campaign“ und „The Battle of the Huertgen Forest“), aber auch in Deutschland (z. B. Hohenstein/Trees, „Hölle im Hürtgenwald“). Zudem haben vor allem an den Kämpfen beteiligte US-Soldaten ihre Erinnerungen in Büchern beschrieben und sie damit für die Nachwelt erhalten (z.B. Wilson, „If you survive“ oder Boesch, „Road to Huertgen“), dies ist auf deutscher Seite in sehr viel geringerem Umfang geschehen. Allerdings sind mitunter recht ausführliche Interviews mit deutschen Kampfteilnehmern vorhanden (vgl. z. B. die Gespräche mit Paul Brückner, Günter Stüttgen oder Edmund Zalewski).
Einen anschaulichen Eindruck von den beklemmenden Erinnerungen, welche die Kämpfe bei amerikanischen Soldaten hinterlassen haben, vermitteln beispielsweise die Bücher von George Wilson, William F. Meller und Paul Boesch, die mit der 4. (Wilson) und der 28. US-Infanteriedivision im Hürtgenwald gekämpft haben.
In seinem Buch „If you survive“ aus dem Jahr 1987 beschreibt Wilson die Kampfbedingungen wie folgt (a.a.O., S. 132, Übersetzung aus der englischen Sprache):
„Wir biwakierten in sehr zerklüftetem Gelände tief im Wald östlich von Zweifall, Deutschland, in der Nähe der Mitte des Hürtgen, eines hundert Quadratmeilen großen Waldes mit extrem steilen Hügeln, rauen Bergrücken und tiefen Schluchten, die mit Eichen, Ahorn, Birken, Stieleichen, Weißkiefern und Kiefern bewachsen sind. Einige Laubwälder waren über hundert Fuß hoch; Kiefern von unterschiedlicher Höhe, etwa zehn bis fünfzig Fuß, standen in dichten Reihen. Manche Bäume waren riesig und fast einhundert Fuß hoch.
Das Land war an sich schon Hindernis genug, aber die Deutschen hatten noch zwei weitere Vorteile. Sie wussten immer genau, wo wir uns befanden, da sie selbst gerade von dort aufgebrochen waren, und konnten uns daher leicht unter Beschuss nehmen. Außerdem hatten sie im Voraus eine Reihe von Verteidigungsstellungen vorbereitet. Nachdem sie unseren Angriff so kostspielig wie möglich gemacht hatten, zogen sie sich einfach ein paar hundert Meter zu ihren nächsten Stellungen zurück – und bombardierten die uns überlassenen Stellungen.
Ihre neue Linie, vielleicht an einem Hang oder am Rande einer Schlucht befindlich, gab ihnen üblicherweise die Kontrolle über alles, was vor ihnen lag. Ihre Bunker bestanden aus dicken Baumstämmen, die mit einigen Metern Erde bedeckt waren. Die Bunker waren fast unempfindlich gegen Artillerie, die von oben einschlagen musste. Sie hätten genauso gut aus Beton sein können. Baumkrepierer störten sie kaum, und unsere Panzer hatten keine Chance, in ihre Nähe zu kommen und sie direkt zu beschießen. Die Infanterie musste sie auf die harte Tour einnehmen, indem sie sie einzeln angriff, manchmal durch Stacheldraht.“
Wilson beschreibt auch einzelne Gefechte und die Besonderheiten der Waldkämpfe (a.a.O., S. 135, Übersetzung aus der englischen Sprache):
„Das zweite Bataillon stieß sofort auf eine zähe deutsche Verteidigung, Veteranen, die aus dicken Holzbunkern und mit Stacheldraht geschützten Geschützstellungen hart kämpften. Von ihren eingegrabenen Stellungen aus, die uns gegenüber lagen, feuerten sie brutal genaue Mörser und Artillerie auf unsere im freien Gelände befindlichen Männer ab und zermürbten uns mit direktem Maschinengewehr- und Gewehrfeuer. Unsere Verluste waren furchtbar. Die meisten unserer Verluste wurden durch Artillerie- und Mörsergranaten verursacht, die in den Bäumen über uns explodierten.
Normalerweise schlagen Artilleriegranaten in einem spitzen Winkel in den Boden ein, und ihr Schrapnell fächert sich nach vorne hin leicht auf, wobei ein Großteil harmlos in den Boden oder direkt in die Luft geht. Wenn eine Granate über einem Baum explodiert, breitet sich fast die Hälfte des Schrapnells aus und fällt wie Regen nach unten, was unendlich viel tödlicher ist.
Die beste Verteidigung besteht darin, sich aufrecht gegen einen großen Baum zu stellen und dadurch nur den Helm und die Schultern zu entblößen. Die Instinkte sind jedoch stark, und viele Männer warfen sich wie üblich zu Boden. Eigentlich machte das nicht immer einen großen Unterschied, denn Mörser fallen gerade nach unten, und ihre Stahlsplitter fächern sich in alle Richtungen auf. So wird man aus allen Richtungen getroffen, sogar von unten mit Minen.“
William F. Meller schildert seine Erinnerungen an die Kämpfe im Hürtgenwald in seinem Buch „Bloody Roads to Germany“ aus dem Jahr 2012 wie folgt (a.a.O., S. 76, Übersetzung aus der englischen Sprache):
„Meine beiden Augen sehen absolut nichts in diesem Schwarz. Ich habe keinen Verstand und kann nicht denken. Mein Instinkt sagt mir, dass ich diese Nacht überleben muss, aber wie? Diese Gedanken verkrampfen meinen Körper. Ich zittere, es ist kalt, aber ich weiß nicht, ob es heute Nacht kalt ist oder ob es nur an mir liegt. Ich bin ein Tier in einem Loch, das darauf wartet, verschluckt zu werden. Wie lange wird das noch so weitergehen? Ich kann diese Dunkelheit nicht ertragen. Ich versuche so sehr, kein Geräusch zu machen; ich will nicht atmen. Ich habe Visionen von ihnen, wie sie durch die Bäume bis an den Rand dieses Lochs kriechen. Ich denke an die Männer, die heute Morgen in die Luft gesprengt wurden. Ich höre noch immer die schrecklichen Schreie, wenn die Körper zerrissen werden (…) und sich der qualvolle Tod um mich herum ausbreitet. Sie schlachten uns ab.“
Meller fährt fort (a.a.O., S. 76 f., Übersetzung aus der englischen Sprache):
„Der Wald war mit einem dichten Tannenbestand bedeckt, der mal fünfundsiebzig, mal hundert Fuß hoch war und den Himmel bedeckte. Als ich ihn zum ersten Mal betrat, blickte ich nach oben und hatte das Gefühl, mich an einem heiligen Ort zu befinden. Dieser Wald war jahrhundertelang ein stiller Soldatenfriedhof gewesen. Er ist von gut definierten Feuerschneisen durchzogen. Diese Feuerschneisen waren auf deutschen Karten eingemessen, damit die deutsche Artillerie sie punktgenau treffen konnte. Die deutsche Artillerie konnte buchstäblich eine Granate in die Manteltasche eines amerikanischen Soldaten werfen. Und das taten sie auch, oft.“
Zum Abschluss sei eine Aussage von Paul Boesch aus seinem erstmals im Jahr 1962 erschienenen Buch „Road to Huertgen“ wiedergegeben, die vermutlich für alle Teilnehmer der Kämpfe im und um den Hürtgenwald Gültigkeit hat (a.a.O., S. 147, Übersetzung aus der englischen Sprache):
„Wenn ich auf das Geschehen im Wald zurückblicke, versucht ein Vorhang der Zeit, die grausame Länge der Tage und Nächte zu minimieren und sie zu einem großen Bild zusammenzufügen. Es ist schwierig, sich an die Reihenfolge der Ereignisse zu erinnern. Jede Episode scheint den Vorrang vor den anderen zu beanspruchen. Aber auch wenn es schwer ist, sich genau zu erinnern, wann etwas passiert ist, ist es unmöglich, die Ereignisse selbst zu löschen, denn der schiere, nackte, erschöpfende Terror hat sie untrennbar in unser Gedächtnis eingebrannt.“
Dies beschreibt die Umstände, unter denen viele der später von Julius Erasmus und seinen Helfern geborgenen Soldaten ihr Leben verloren. Dass sowohl der Soldatenfriedhof in Vossenack als auch derjenige in Hürtgen einen hohen Anteil unbekannter Soldaten beherbergt, deren Identifizierung nicht möglich war, spricht ebenfalls für sich.
(Titelfoto: Hürtgenwald im Bereich Peterberg, Juni 2021)
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