„Moderne Gedenkkultur“ im Kreis Düren: Die Stellungnahme des Präsidenten des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. zum „Tanztheater“ auf dem Soldatenfriedhof in Vossenack anlässlich des Volkstrauertags 2023 – ein „Faktencheck“ (Veröffentlicht am 13.11.2024)
I. Das „Tanztheater“ über den Gräbern der Kriegstoten auf dem Soldatenfriedhof in Vossenack zum Volkstrauertag 2023
Bekanntlich hat der Kreis Düren unter Landrat Wolfgang Spelthahn (CDU) am 17. und 18.11.2023 gemeinsam mit dem Kreisverband des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., dessen Vorsitzender Spelthahn ist, auf der Gräberfläche des Soldatenfriedhofs in Vossenack ein sog. „Tanztheater“ durchführen lassen, in dessen Rahmen Schülerinnen und Schüler des dortigen benachbarten Franziskus-Gymnasiums auf mehreren, direkt über den Gräbern der Toten errichteten Bühnen zu lauter Musik tanzten.
Auf diesem Blog wurde ausführlich über den Vorgang und seine Hintergründe berichtet.
Während die lokale Presseberichterstattung der Aachener Zeitung in ihrer üblichen, unkritischen Hofberichterstattung für Landrat Spelthahn mitteilte, unter den Anwesenden – die rund 600 Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums waren nach Angaben der Zeitung zur Teilnahme verpflichtet – habe es „skeptische Stimmen“ „nur vereinzelt gegeben“, sah die Realität offenbar sehr viel anders aus: Unter Verweis auf „zahlreiche Zuschriften von Mitgliedern und Förderern“, die eine Grenzüberschreitung gerügt hätten, sah sich sogar der Präsident des Bundesverbandes des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. („Volksbund“), der 78-jährige ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, veranlasst, eine öffentliche Stellungnahme zu dem „Tanztheater“ abzugeben.
II. Die Stellungnahme des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. zum „Tanztheater“ vom 08.12.2023 im Wortlaut
Der Volksbund veröffentlichte am 08.12.2023 unter dem Titel „Gedenken in Vossenack: ‚Grenzfall, an dem sich die Geister scheiden‘ – Stellungnahme des Volksbund-Präsidenten Wolfgang Schneiderhan zu Irritationen nach kommunaler Veranstaltung“ eine Erklärung [Archivlink].
Diese ist bemerkenswert und soll nachfolgend näher betrachtet werden.
Die Herrn Schneiderhan zugeschriebene Erklärung lautet im Wortlaut wie folgt:
„Eine Gedenkveranstaltung zum Volkstrauertag auf der Kriegsgräberstätte Vossenack hat für Irritationen gesorgt. Dazu meldet sich der Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V., Wolfgang Schneiderhan, zu Wort.
Am 17. November 2023 gestaltete das St.-Franziskus-Gymnasium in Vossenack (Nordrhein-Westfalen) in Kooperation mit dem Landkreis Düren, der Gemeinde Hürtgenwald und weiteren Partnern eine Gedenkveranstaltung zum Volkstrauertag. Der Volksbund war weder auf der Bundes- noch auf der Landesebene Mitveranstalter und auch nicht in die Planung mit eingebunden.
Botschaft: Frieden ist kein Geschenk
Die Intention der Veranstalter war nach eigener Aussage folgende: ‚…zum Ausdruck … bringen, dass Frieden nicht selbstverständlich und kein Geschenk ist.‘ Die Kriegsgräberstätte ist – wie bundesweit üblich – in kommunaler Obhut. Träger ist der Landkreis Düren.
Der erste Teil der Gedenkveranstaltung fand in der Klosterkirche statt, der zweite Teil auf der Kriegsgräberstätte Vossenack. Dabei waren vier Podeste am Rande der Gräber aufgebaut, auf der künstlerisch gestaltete Tanz-Darbietungen zu sehen waren.
Absicht ist lobenswert
Mit der Veranstaltung wurden knapp 900 Menschen an zwei Tagen erreicht. Der Volksbund hält die inhaltliche Absicht des Mahnens für den Frieden für lobenswert. Das künstlerische Programm der Schule dazu ist sogar besonders eindrucksvoll, wenn man sich tiefer damit auseinandersetzt.
Auf den vielen Kriegsgräberstätten im Ausland, die der Volksbund verantwortlich pflegt, finden auch gelegentlich künstlerische Darbietungen statt. Sie sind genehmigungspflichtig und die Bundesgeschäftsstelle des Volksbundes achtet stets auf das Einhalten von Abständen zu den Gräbern, pietätvolle Darstellungen und Wahrung der Würde der Kriegstoten.
Gefühle nicht verletzen
Die Aufführung unter Verantwortung des Landkreises Düren in Vossenack ist vermutlich ein Grenzfall, an dem sich die Geister scheiden können. Obgleich inhaltlich nicht zu beanstanden, zeigen uns doch zahlreiche Zuschriften von Mitgliedern und Förderern, dass manche diese Grenze als überschritten ansehen.
In der Tat können mit derartigen Aufführungen die Gefühle von Angehörigen und Hinterbliebenen verletzt werden, ungeachtet der gut gemeinten Absicht, die dahintersteht. In solchen Fällen empfiehlt der Volksbund den verantwortlichen Kommunen und Gemeinden im Inland, diese möglichen Wirkungen mit hinreichender Sensibilität zu bedenken und im Zweifelsfall Aufführungen auf Plätze mit ausreichendem Abstand zu den Gräbern zu verlegen. Örtliche Volksbundvertreter sollten im Zweifelsfall nur auf privater Basis teilnehmen.
Wolfgang Schneiderhan, Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.“
III. Nähere Betrachtung der Stellungnahme des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.
Diese Stellungnahme verdient eine nähere Betrachtung.
1. Keine Beteiligung des Volksbundes „auf Bundes- oder Landesebene“ an dem „Tanztheater“
Zunächst betont der Volksbund-Präsident, die Gestaltung der „kommunalen Veranstaltung“ habe dem „St.-Franziskus-Gymnasium in Vossenack (Nordrhein-Westfalen) in Kooperation mit dem Landkreis Düren, der Gemeinde Hürtgenwald und weiteren Partnern“ oblegen. Zudem wird dem Kreis Düren an weiteren Stellen der Stellungnahme die alleinige Verantwortung zugespielt. Dieser sei „Träger“ des Friedhofes und trage auch die Verantwortung für die Aufführung. Der Volksbund sei demgegenüber „weder auf der Bundes- noch auf der Landesebene Mitveranstalter und auch nicht in die Planung mit eingebunden“ gewesen.
Dem Leser soll hierdurch offenbar vermittelt werden, dass der Volksbund aufgrund der (angeblich) fehlenden Beteiligung an der Organisation des „Tanztheaters“ auch keine Verantwortung für den Inhalt der Veranstaltung trage. Was dabei jedoch verschwiegen wird, ist die Beteiligung des Volksbundes auf Kreisebene. Wie der Kreis Düren auf hiesige Anfrage mitteilte, war das „Tanztheater“ eine „gemeinsame Veranstaltung des Kreisverbandes des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. und des Kreises Düren“. Damit war der Volksbund sehr wohl in die Organisation der Veranstaltung eingebunden und trägt damit auch eine Mitverantwortung für deren Inhalt. Dass diese Einbindung in der Erklärung des Volksbund-Präsidenten Schneiderhan ausgespart wurde, dürfte kaum Zufall sein, legt jedoch für die Stellungnahme bereits eine manipulative Grundintention nahe.
Nebenbei sei erwähnt, dass auch die behauptete fehlende Beteiligung des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen („Volksbund NRW“) zweifelhaft ist. Dieser Landesverband unter dem Landesvorsitzenden, dem SPD-Politiker Thomas Kutschaty und dem Geschäftsführer Stefan Schmidt wird bei Maßnahmen hinsichtlich der Soldatenfriedhöfe in Hürtgen und Vossenack regelmäßig involviert. Dies war bei der Entfernung der Gedenktafel für Julius Erasmus im Juni 2021 der Fall, für die „Dauerausstellung“ zum Soldatenfriedhof Hürtgen war der Volksbund NRW einer der Geldgeber. Der Volksbund war ausweislich der entsprechenden Vorlage auch an der Neufassung der Friedhofsordnung beteiligt, welche den Besuchern der Soldatenfriedhöfe in Hürtgen und Vossenack seit September 2022 die Ablage von z. B. Blumen oder Kerzen ohne Vorliegen einer Ausnahmegenehmigung des Kreises untersagt. Auch die Entfernung des Gedenksteins für Julius Erasmus auf der Vossenacker Anlage im Herbst 2022 dürfte kaum ohne Beteiligung des Volksbundes NRW erfolgt sein.
Es ist schwerlich anzunehmen, dass die demnach ansonsten offenbar eng mit dem Volksbund NRW kooperierende Kreisverwaltung in Düren diesen just bei einer von vornherein offensichtlich kontroversen Veranstaltung wie dem „Tanztheater“ nicht eingebunden hat. Nicht umsonst hat der Kreis Düren die hiesige Anfrage nach der Kenntnis des Volksbundes NRW vom Ort und Inhalt der Veranstaltung nicht verneint, sondern nur mitgeteilt, diese könne „nicht mehr nachvollzogen werden“, denn man habe „diesbezüglich keine schriftlichen Aufzeichnungen gefertigt“. Nicht nur weil diese plötzliche Amnesie der Protagonisten beim Kreis Düren in eigenen Angelegenheiten und das Fehlen schriftlicher Aufzeichnungen inzwischen eine gewisse Häufigkeit hat, spricht dies bereits für sich.
2. Im Rahmen des „Tanztheaters waren „vier Podeste am Rande der Gräber aufgebaut“
Volksbund-Präsident Schneiderhan behauptet in seiner Stellungnahme weiter, im Rahmen des „Tanztheaters“ seien „vier Podeste am Rande der Gräber aufgebaut“ gewesen. Damit soll dem Leser offenbar der Eindruck vermittelt werden, die Gräber seien hierdurch nicht betroffen gewesen.
Dass dies unwahr ist, ist sowohl in dem hiesigen Bericht als auch in den dort gezeigten Fotos und den verlinkten Videoaufnahmen eindeutig dokumentiert. Einige dieser Fotos seien hier erneut wiedergegeben, sie zeigen insbesondere die Hauptbühne in der Mitte des Gräberfeldes:
Zum einen befanden sich nicht vier, sondern fünf Bühnen auf dem Gräberfeld; wobei eine davon, die größte, direkt in dessen Mitte errichtet wurde. Alle befanden sich unmittelbar über Gräbern und keineswegs an deren Rand. Zudem waren, ebenfalls direkt über Gräbern, zwei Podeste aufgebaut, von denen aus Ton- und Videoaufnahmen des „Tanztheaters“ angefertigt wurden.
Gänzlich unerwähnt lässt der Präsident des Volksbundes in seiner Stellungnahme die vielfarbige Beleuchtung des Gräberfeldes und deren Beschallung mit lauter Musik sowie den Umstand, dass die Veranstalter die Besucher der Veranstaltung im Halbdunkel über die Gräber trampeln ließen. Für diese Umstände lässt sich kaum eine Rechtfertigung finden, vielleicht lässt der Volksbund-Präsident sie deshalb lieber von vornherein unerwähnt.
3. „Auf den vielen Kriegsgräberstätten im Ausland, die der Volksbund verantwortlich pflegt, finden auch gelegentlich künstlerische Darbietungen statt“
In seiner Stellungnahme merkt Volksbund-Präsident Schneiderhan weiterhin an, „auf den vielen Kriegsgräberstätten im Ausland, die der Volksbund verantwortlich pflegt“ fänden „auch gelegentlich künstlerische Darbietungen statt“. Diese seien „genehmigungspflichtig und die Bundesgeschäftsstelle des Volksbundes achtet stets auf das Einhalten von Abständen zu den Gräbern, pietätvolle Darstellungen und Wahrung der Würde der Kriegstoten.“
Dieser Hinweis soll dem Leser offenbar zum einen vermitteln, das „Tanztheater“ sei eine Art üblicher Vorgang, der auch auf anderen Soldatenfriedhöfen praktiziert werde. Zum anderen soll offenbar der Eindruck erweckt werden, dass solche Veranstaltungen stets pietätvoll und unter Wahrung der Würde der Kriegstoten erfolgten – und dies auch im Kontext des „Tanztheaters“ zu gelten habe.
Ich habe das Auswärtige Amt in Berlin aufgrund des Informationsfreiheitsgesetzes um schriftliche Mitteilung gebeten, auf welchen Soldatenfriedhöfen im Ausland bislang künstlerische Darbietungen stattfanden, wann diese erfolgte und welchen Inhalt diese Darbietungen hatten. Das Auswärtige Amt konnte in seinem Bescheid ganze drei (!) Soldatenfriedhöfe nennen, auf denen solche Veranstaltungen durchgeführt worden seien. Jedenfalls nach dem beschriebenen Inhalt dieser Veranstaltungen ist keine mit dem in Vossenack durchgeführten „Tanztheater“ auch nur im Ansatz vergleichbar.
4. Der Volksbund hält das „Tanztheater“ für „inhaltlich nicht zu beanstanden“
Abschließend räumt Volksbund-Präsident Schneiderhan ein, zwar „zahlreiche Zuschriften von Mitgliedern und Förderern“ mit Kritik an der Veranstaltung erhalten zu haben, erklärt jedoch, das „Tanztheater“ sei inhaltlich aus Sicht des Volksbundes im Ergebnis „nicht zu beanstanden“. Die Veranstaltung sei „vermutlich“ ein Grenzfall, an dem sich „die Geister scheiden können“. Er verweist auf die „gut gemeinte Absicht, die dahintersteht“.
Man achte besonders auf die benutzte Sprache. So wird das „Tanztheater“ nur als „vermutlicher“ Grenzfall bezeichnet, diese Einschätzung also bereits terminologisch in Zweifel gezogen. Auch scheiden sich daran nicht die Geister, sondern dies „könne“ lediglich der Fall sein (müsse es aber nicht). Diese Sprache transportiert, dass das „Tanztheater“ nur ein „mutmaßlicher Grenzfall“ ist, man dies also berechtigterweise auf die eine oder andere Weise sehen kann.
Nach Ansicht des Volksbundes und seines Präsidenten Wolfgang Schneiderhan ist es also anscheinend eine Angelegenheit des individuellen Geschmacks, ob man eine Tanzveranstaltung Jugendlicher auf unmittelbar über den Gräbern von Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft errichteten Bühnen unter bunter Beleuchtung des Gräberfeldes und Beschallung mit lauter Musik für akzeptabel hält oder nicht. Der Volksbund und sein Präsident Schneiderhan halten das „Tanztheater“ jedenfalls für „inhaltlich nicht zu beanstanden“.
Abschließend wird den Veranstaltern, zu denen auch der Volksbund gehörte, für zukünftige ähnliche Projekte auf den Weg gegeben, man solle hierfür doch „Plätze mit ausreichendem Abstand zu den Gräbern“ wählen. Auch solle eine „Teilnahme örtlicher Volksbundvertreter im Zweifelsfall nur auf privater Basis“ erfolgen. Damit sieht man sich beim Volksbund offenbar aus dem Schneider, was das wesentliche Anliegen dieser Stellungnahme gewesen zu sein scheint.
III. Nachfragen beim Präsidenten des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.
Ich habe den Volksbund-Präsidenten Schneiderhan für diesen Beitrag um eine Stellungnahme zu verschiedenen Aspekten des „Tanztheaters“ gebeten, wozu er im Ergebnis nicht bereit war. Die entsprechenden Anfragen und die inhaltsleeren „Antworten“ des Volksbundes, die abermals für sich sprechen, werden nachfolgend dargestellt.
1. Die Satzung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.
Der Volksbund ist als privatrechtlicher eingetragener Verein („e. V.“) verfasst. Dies ist angesichts des in öffentlichem Interesse liegenden Betätigungsfeldes bereits an sich bemerkenswert und wirft gewisse Fragen auf, soll aber an dieser Stelle nicht vertieft werden. Es lohnt ein Blick in die Vereinssatzung des Volksbundes, die insbesondere den Vereinszweck und die Leitlinien seiner Betätigung definiert.
In der Präambel der – soweit ersichtlich – aktuellen gültigen Satzung vom 30.11.2019 heißt es (S. 5, Hervorhebungen diesseits):
„Im Gedenken an die Millionen Toten der Kriege und der Gewaltherrschaft,
in dem Bestreben, das Leid der Hinterbliebenen zu lindern und
in der Erkenntnis, dass das Vermächtnis dieser Toten alle Völker zu Verständigung und Frieden mahnt,
sorgt der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge für die Gräber dieser Toten.
Er will mit seiner Arbeit zur Verständigung unter den Völkern und zur Förderung und Erhaltung des Friedens beitragen.
Grundlage der Arbeit des Volksbundes ist die Achtung der unantastbaren Würde des Menschen.
Die Würde des Menschen reicht über den Tod hinaus.
Daraus erwächst die Verpflichtung, Kriegsgräberstätten zu schaffen und als ständige Mahnung zum Frieden dauerhaft zu erhalten.
Kriegsgräberarbeit bedeutet zugleich, sich um die Aussöhnung und Verständigung der Völker zu bemühen und dabei insbesondere die Begegnung und die gemeinsame Arbeit junger Menschen aller Völker an den Kriegsgräberstätten zu fördern.
Die Arbeit des Volksbundes steht unter dem Leitwort:
Versöhnung über den Gräbern – Arbeit für den Frieden“
2. Vereinbarkeit des „Tanztheaters“ mit der Präambel der Volksbund-Satzung?
Mit Schreiben vom 17.04.2024 bat ich Herrn Schneiderhan unter Verweis auf die Präambel der Volksbund-Satzung um Stellungnahme zu folgenden Fragen:
„1. Ist Ihrer Ansicht nach eine ‚Gedenkveranstaltung‘ wie die am 17.11.2023 unter Beteiligung des Volksbundes auf dem Soldatenfriedhof Vossenack durchgeführte, die es erlaubt, dass sich hunderte Menschen im Halbdunkel frei über die Gräber der Toten von Krieg und Gewaltherrschaft bewegen und diese Gräber zahlreich betreten, vereinbar mit der in der Präambel der Volksbund-Satzung propagierten Sorge des Volksbundes für die Gräber dieser Toten?
2. Ist eine solche ‚Gedenkveranstaltung‘, welche neben der Beleuchtung und Beschallung des Gräberfeldes mit Musik das Tanzen über den Gräbern der Toten von Krieg und Gewaltherrschaft vorsieht, Ihrer Ansicht nach vereinbar mit der unantastbaren und über den Tod hinausreichenden Würde des Menschen, die – der Präambel der Volksbund-Satzung zufolge – Grundlage der Arbeit des Volksbundes ist?“
Am 18.04.2024 antwortete der stellvertretende Generalsekretär des Volksbundes, Stefan Dworak, per E-Mail und verwies auf die oben zitierte Stellungnahme, in dieser würden „Ihre Fragen (…) ausführlich (…) beantwortet“.
3. Wahrung der Pietät und der Würde der Kriegstoten?
Mit Schreiben vom 23.04.2024 hakte ich nach und bat – neben den bereits gestellten beiden Fragen – um weitere Stellungnahme wie folgt:
„1. In Ihrer Stellungnahme vom 08.12.2023 heißt es im Hinblick auf die Veranstaltung am 17.11.2023: ‚Der Volksbund war weder auf der Bundes- noch auf der Landesebene Mitveranstalter und auch nicht in die Planung mit eingebunden.‘
1.1 Hatte der Landesverband NRW des Volksbundes nicht vorab Kenntnis von der geplanten Veranstaltung am 17.11.2023 und ihrer Durchführung auf dem Gräberfeld des Soldatenfriedhofs in Vossenack?
1.2 Trifft es nicht zu, dass der Kreisverband Düren des Volksbundes Mitveranstalter der besagten Veranstaltung am 17.11.2023 war? Falls dies zutrifft: Inwiefern kommt es Ihrer Ansicht nach darauf an, ob der Volksbund auf Bundes- oder Landesebene ‚Mitveranstalter‘ und/oder ‚in die Planung eingebunden‘ war?
2. In Ihrer Stellungnahme vom 08.12.2023 heißt es weiter (Hervorhebung diesseits): ‚Der erste Teil der Gedenkveranstaltung fand in der Klosterkirche statt, der zweite Teil auf der Kriegsgräberstätte Vossenack. Dabei waren vier Podeste am Rande der Gräber aufgebaut, auf der künstlerisch gestaltete Tanz-Darbietungen zu sehen waren.‘
2.1 Wie Sie den bereits in meinem Schreiben vom 17.04.2024 genannten Videoaufzeichnungen der Veranstaltung (vgl. www.youtube.com/watch?v=WbnMBMwB-kOQ [Video 1] und www.youtube.com/watch?v=o4IOPf80zzo [Video 2]) zwanglos entnehmen können, waren insgesamt fünf Bühnen auf dem Gräberfeld aufgebaut – vier kleinere an dessen Rand und eine große in dessen Mitte –, allesamt direkt über den Gräbern und keineswegs an deren Rand. Dies zeigt folgende Abbildung (vgl. Video 2, Min 30:11): […]
Zudem waren auf dem Gräberfeld, ebenfalls direkt über Gräbern, mindestens zwei Podeste wie folgt errichtet (vgl. Video 1, Min 16:06): […]
Halten Sie angesichts dessen an Ihrer Behauptung fest, im Rahmen der Veranstaltung am 17.11.2023 seien (nur) ‚vier Podeste (…) aufgebaut‘ gewesen und diese hätten sich ‚am Rande der Gräber‘ befunden?
3. In Ihrer Stellungnahme vom 08.12.2023 heißt es weiter (Hervorhebung diesseits): ‚Auf den vielen Kriegsgräberstätten im Ausland, die der Volksbund verantwortlich pflegt, finden auch gelegentlich künstlerische Darbietungen statt. Sie sind genehmigungspflichtig und die Bundesgeschäftsstelle des Volksbundes achtet stets auf das Einhalten von Abständen zu den Gräbern, pietätvolle Darstellungen und Wahrung der Würde der Kriegstoten.‘
3.1 Wurden bei der Veranstaltung am 17.11.2023 auf dem Gräberfeld des Soldatenfriedhofs in Vossenack Ihrer Ansicht hinreichende Abstände zu den dortigen Gräbern eingehalten?
3.2 Handelt es sich ihrer Ansicht nach bei den Darbietungen auf dem Gräberfeld des Soldatenfriedhofs in Vossenack am 17.11.2023 um ‚pietätvolle Darstellungen‘?
3.3 Wahrt die Veranstaltung am 17.11.2023 Ihrer Ansicht nach die Würde der auf dem Soldatenfriedhof in Vossenack bestatteten Kriegstoten?
4. In Ihrer Stellungnahme vom 08.12.2023 heißt es weiter (Hervorhebung diesseits): ‚Die Aufführung unter Verantwortung des Landkreises Düren in Vossenack ist vermutlich ein Grenzfall, an dem sich die Geister scheiden können. Obgleich inhaltlich nicht zu beanstanden, zeigen uns doch zahlreiche Zuschriften von Mitgliedern und Förderern, dass manche diese Grenze als überschritten ansehen.‘
4.1 Ist die Form der Veranstaltung am 17.11.2023, d. h. ihre Durchführung auf dem Gräberfeld direkt über den Gräbern unter Ausleuchtung und Beschallung der Anlage mit Musik, Ihrer Ansicht nach zu beanstanden?
5. Halten Sie Ihre Stellungnahme vom 08.12.2023 für einen aufrichtigen und respektvollen Umgang mit den zahlreichen Menschen, die sich nach Ihren eigenen Angaben beim Volksbund über die Veranstaltung am 17.11.2023 beschwert haben?“
Es antwortete mit Schreiben vom 07.05.2024 der Geschäftsführer des Volksbundes NRW, Stefan Schmidt, offenbar hatte der Volksbund Bundesverband mein Schreiben an diesen weitergeleitet. Herr Schmitt teilte mit,
„dass Sie bereits auskömmliche Antworten erhalten haben.
Dem können wir nichts hinzufügen.
Wir betrachten die Angelegenheit daher als ausgeschrieben.“
Im Ergebnis hat der Volksbund demnach eine Stellungnahme zu den Thesen seines eigenen Präsidenten verweigert. Die Art und Weise überzeugt einmal mehr kaum, ist aber – zumindest nach den bisherigen hiesigen Erfahrungen mit dem Volksbund – keineswegs eine Ausnahme. Fakten nimmt man dort nur insoweit und solange zur Kenntnis, wie sie dem eigenen Weltbild entsprechen und diesem dienen, ansonsten duckt man sich lieber weg.
V. Bewertung
Der Zustand des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. im Jahr 2024 kommt in der Stellungnahme seines Präsidenten Schneiderhan zum „Tanztheater“ und in der Reaktion auf meine diesbezüglichen Fragen mehr als deutlich zum Ausdruck.
Mit der Stellungnahme seines Präsidenten versuchte sich der Volksbund hastig in Schadensbegrenzung, anscheinend hatte man dort nicht mit relevantem öffentlichen Gegenwind zu dem „Tanztheater“ gerechnet. Jedenfalls hier besteht kein Zweifel daran, dass die Veranstaltung zumindest beim Volksbund NRW vorab bekannt war und gebilligt wurde. Wer den historischen Volksbund noch kennengelernt hat, mag dies bedauern, aber im Jahr 2024 entsprechen Veranstaltungen wie das „Tanztheater“ der dortigen Geisteshaltung, eindrucksvoll belegt durch die Aussage des Volksbund-Präsidenten, die Veranstaltung sei im Ergebnis „nicht zu beanstanden“ und dessen Schweigen auf die hiesigen Nachfragen.
Nach den hiesigen Erfahrungen ist dieses Verhalten des Volksbundes auch keineswegs ein Einzelfall. Vermittelt der Verband schon mit seiner Namensgebung eine – historisch vermutlich durchaus beabsichtigte – gleichsam universelle „Fürsorge“ für Kriegsgräber (vgl. auch die oben zitierte Präambel der Satzung), sieht die derzeitige Praxis wesentlich nüchterner aus.
Der Volksbund, seine Struktur und Tätigkeit werfen einige interessante Frage auf, z. B. die folgenden:
Weshalb ist der Volksbund als e.V. organisiert?
Wo weist der Volksbund eigentlich auf den Umstand hin, dass er – von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen – überhaupt nur für im Ausland gelegene Kriegsgräber zuständig ist, während die im Inland gelegenen Kriegsgräber der Zuständigkeit der kommunalen Verwaltungsträger unterfallen?
Weshalb ist das Archiv des Volksbundes der Öffentlichkeit im Grundsatz nicht zugänglich und ein Zugriff auf die dortigen Bestände selbst für Recherchen zu Kriegsgräbern und Soldatenfriedhöfen in Gänze dessen freiem Belieben überlassen? Weshalb gewährt der Volksbund für bestimmte Forschungsprojekte offenbar großzügig Zugang zu diesen Archivbeständen, für andere hingegen nicht?
Die öffentliche Wahrnehmung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. steht inzwischen in deutlichem Kontrast zu den Realitäten. Über einige Erfahrungen des Seitenbetreibers mit dem Volksbund wird hier in Zukunft ausführlicher berichtet werden.
(Titelfoto: Soldatenfriedhof Vossenack, Oktober 2019)
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