Feldpostbriefe: Brief des deutschen Soldaten Walter Simon an seine Ehefrau, Februar 1945 (Veröffentlicht am 25.04.2025)
(Quelle: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Letzte Lebenszeichen II – Briefe aus dem Krieg [2013], S. 178 f.):
Brief an die Ehefrau
„Hain, den 17.2.1945
Liebes Martchen!
Heute Deinen Brief, den Du an die Kompanie gesandt hast, dankend erhalten. Es ist das erste Lebenszeichen von Dir seit dem 6.1.1945. Von da ab habe ich keine Post mehr von Dir, außer von Erika, welche mir am 3.1.1945 nochmal schrieb, erhalten. Auch Gerdi hat seit dem 6.1.1945 nichts mehr von sich hören lassen. Ich habe nun dauernd geschrieben an Dich, an Erika und an Gerdi. Bekam aber niemals Antwort, so dass ich mich genötigt sah, an die Stadt Magdeburg zu schreiben. Aber auch von dort warte ich heute noch auf Antwort. Ich nehme nun an, dass die Post verlorengegangen ist, denn ich habe keine Post zurückbekommen, wie Du Dein Telegramm.
Nun zur Sache: Also ist es doch eingetroffen, was ich im Geheimen immer befürchtet hatte. Na, Gott sei Dank, dass Ihr am Leben seid, ist auch niemand verletzt? Schreib mir doch mal ausführlich darüber. Ich würde ja gern selbst kommen, aber es gibt einfach keinen Urlaub. Wie war der Angriff? Ich hörte durch Radio immer ‚Magdeburg – Dessau‘. Na, da konnte ich mir schon meinen Vers machen. Wie seid Ihr dort untergebracht, gefällt es Euch dort?
Ich glaube, wie es hier bei uns jetzt zugeht, kann sich wohl keiner ein Bild machen. Ich sage Dir einfach: entsetzlich. In dieser bitteren Kälte ziehen die Menschen mit ihrem bisschen in Hast und Eile zusammengepackten Hab und Gut von Ort zu Ort. Die Russen sind überall hinterher. Vielleicht wird es gar nicht lange dauern, und wir müssen auch hier wieder aufbrechen. Die Landstraßen sind überfüllt von wandernden Zivilisten, Militär, Kriegsgefangenen, lange Wagenkolonnen Autos und noch mehr. Ein heilloses Durcheinander, überhaupt keine Ordnung mehr. Überall werden Schützengräben und Löcher ausgeworfen, Barrikaden über die Straßen gebaut, große Panzersperren gemacht u.s.w. Überall ertönt das Donnern der Geschütze, die Geschosse brausen über uns hin. Dazwischen russische Flieger, die alles in Grund und Boden versenken. Überall weinende Mütter und Kinder. Die Mütter haben ihre Kinder verloren und die Kinder ihre Mütter. Unbeschreiblich, die paar Züge, die noch fahren, sind dermaßen überfüllt, die Leute wollen mit, egal wie. Auf den Puffern, auf den Trittbrettern, selbst auf der Lokomotive und auf dem Tender.
Soll das etwa der ersehnte Sieg und Friede sein? Familien zerrissen, die Heimat vernichtet, aus der Heimat vertrieben, Väter und Söhne gefallen u.s.w. Wie das enden wird – ich weiß es auch nicht, das weiß wohl keiner, außer denen, die am Ruder sitzen. Ich hoffe jedoch, dass wir uns alle wiedersehen, wie, das ist ja letzten Endes ganz egal! Sieh nur zu, dass Du die Kinder immer bei Dir hast. Hole auch Gerd um jeden Preis. Wie ist es mit der Abfindung, hast Du [sie] schon bekommen oder nicht? Rechne alles zusammen. Es sind in allem Wohnungseinrichtung, Kleider, Mäntel, Anzüge, Stiefel, Schuhe, sämtl. Wäsche und sonstige Vorräte ca. 3000,- RM. Ich würde alles selbst erledigen, aber man lässt keinen Soldaten hier fort, hier heißt es Kampf bis zum letzten [Mann]. Und wer einmal fort ist von hier, der kommt bestimmt nicht wieder. Und das wissen die Herren genau, darum darf keiner weg, auch in den dringendsten Fällen nicht. Nur, Karlchen – soweit es möglich ist – schreibt nach hier, wenn ich Euch nicht mehr antworten kann, so liegt es nicht an mir.
Also, trotz allem Kopf hoch und denke an die Kinder! Nun sei recht herzlich gegrüßt und geküsst auch die Kinder! Walter!
Hoffentlich kommt dieser Brief mal durch!!“
Walter Simon, geboren am 21.03.1901 in Egeln, ist vermutlich am 16.04.1945 im Kreis Neiße gefallen, er ruht auf dem Soldatenfriedhof Jarnoltow/Polen.
(Titelfoto:
Soldatenfriedhof Bitburg Kolmeshöhe, November 2023)
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