Gedanken zum Krieg: Weihnachten fällt nicht aus (Veröffentlicht am 24.12.2023)
Neben Briefen aus der Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeit vermitteln auch Literaturquellen aus der damaligen Zeit einen anschaulichen Eindruck davon, was Krieg für die Menschen bedeutet und welch hohen Preis alle Soldaten und ihre Familien im Krieg zu bezahlen haben – zumeist ganz im Gegensatz zu jenen, die ihn politisch angefacht und initiiert haben. Es ist von zentraler Bedeutung, die Erinnerung an die Zeiten des Krieges und an seine Folgen wach zu halten, um zu verhindern, dass die immer gleichen Mechanismen einmal mehr in Ganz gesetzt werden und sich die Geschichte mit immer fataleren Folgen wiederholt.
An den Gräbern der auf dem Soldatenfriedhof in Hürtgen beerdigten Toten stehend, hat der damalige Bundespräsident Theodor Heuss die Bedeutung des Kriegsgedenkens in seiner Rede zur Eröffnung dieses Friedhofs am 17.08.1952 wie folgt formuliert:
„Sie waren Menschen wie wir. Aber an diesen Kreuzen vernehmen wir ihre Stimmen: ‚Sorgt ihr, die ihr noch im Leben steht, dass Frieden bleibe, Frieden zwischen den Menschen, Friede zwischen den Völkern.‘“
Zu diesem Zweck sollen hier unter dem Titel „Gedanken zum Krieg“ Literaturauszüge wiedergegeben werden, die den Krieg und seine Folgen beschreiben, um mit Nachdruck daran zu erinnern, was Krieg für die Menschen und die Menschheit bedeutet. Um einen Denkanstoß zu liefern und in der unerschütterlichen Hoffnung, dass dies einen Unterschied machen möge.
Ebenso erinnerungswürdig wie lesenswert sind die Erinnerungen von Zeitzeugen an Weihnachten während der Zeit des Zweiten Weltkriegs. So berichtet Fryderyk Tegler in einer Publikation des Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (Fryderyk Tegler, Weihnachten fällt nicht aus, aus: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., Weihnachtsgeschichten aus schwerer Zeit (8. Aufl., 2017), S. 157 ff.):
„Mit fünf Jahren erlebte ich erstmals die Vorweihnachtszeit ganz bewusst mit all ihrem Zauber und Geheimnis. Wir Kinder konnten in der Zeit 1944–46 wahrlich keine großartigen Geschenke erwarten oder mit üppigen Festlichkeiten rechnen. Es waren vielmehr die kleinen Dinge, die uns mit Vorfreude erfüllten. Wir dachten an den Baum und seinen Schmuck, an die Lichter und ihren Glanz, an die Stube und ihren weihnachtlichen Duft. Mit allen Sinnen warteten wir auf das große Fest und die vielen kleinen Dinge, die es zu sehen und zu schmecken, zu fühlen und zu erleben gab. Für unsere Mutter war diese wunderbare Zeit der Lichter und Geheimnisse von dunklen Schatten und tiefem Bangen überdeckt. Noch immer hatte sie keine Nachricht von unserem Vater und dem ältesten Bruder. Die Hoffnung, dass sie noch lebten und aus der Gefangenschaft nach Hause kämen, musste immer wieder gegen Angst und Sorge um ihr Wohlergehen kämpfen.
Es wurde Heiligabend. Die Spannung in den Kinderherzen erreichte ihren Höhepunkt. Aufgeregt rannten wir durch die Wohnung. Da kam zu uns durch den hohen Schnee der Postbote und brachte einige Briefe. Mutter setzte sich an den Tisch und begann zu lesen. Wir sprangen davon, lachten und sangen, tobten und balgten. Als wir wieder in die Küche kamen, blieben wir erschrocken stehen und verstummten. Mutter saß über einen Brief gebeugt, der in ihren Händen zitterte, und weinte. Die Tränen liefen auf den Brief hinab und tropften auf den Boden. Eine Erklärung gab es nicht …
Der Vater ist nie mehr zu uns nach Masuren, nach Hause, gekommen und meinen ältesten Bruder haben wir erst 40 Jahre später wiedergefunden. Aber das hat unsere Mutter nicht mehr erlebt. Obwohl das ganze Ausmaß der Schreckenszeit des Krieges und der Nachkriegszeit nicht in unsere Kinderherzen eindringen konnte, spürten wir, dass etwas zerbrach, zusammenstürzte und abriss. Wir drückten uns an die Mutter. Traurigkeit erfüllte den Raum. Die Tränen vermischten sich. Lange fanden wir keine Worte. Es war totenstill.
Mitten hinein in die stumme Verzweiflung drang meine kindliche Frage: ‚Mutti, fällt Weihnachten jetzt aus?‘ Meine Mutter stutzte, gab sich einen Ruck, nahm uns Kinder in den Arm und sagte: ‚Nein, jetzt feiern wir erst recht Weihnachten!‘ Und dann begann meine Mutter, ihre Traurigkeit und ihr Leid damit zu bewältigen, dass sie uns Kindern die Weihnachtstage gestaltete.
Aus heutiger Sicht waren das arme Feiern, aber damals sehr schöne.“
Man darf nicht vergessen, dass sich die gleiche Szene auch in allen anderen kriegsbeteiligten Staaten so oder ähnlich vielfach zugetragen hat. Für die Bevölkerung, insbesondere für Soldaten und ihre Familien, kennt Krieg stets nur Schmerz und Leid.
(Titelfoto: Winterbaum im Düsseldorfer Stadtwald,
Februar 2022)
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